Last Exit
weißt, dass ich hier nicht wegwill. Ich mag meine Arbeit. Ich mag mein Leben hier. Stephanie geht auf eine tolle Schule.«
Er rieb sich übers Gesicht. Obwohl er diese Unterhaltung lange geplant und oft durchgespielt hatte, brachte sie ihn auf die Palme. »Warum muss ich alle Antworten kennen? Warum können wir die Sache nicht einfach auf uns zukommen lassen?«
»Weil wir ein Kind haben, Milo.«
Die Luft schien aus dem Auto zu weichen.
Wieder warf sie ihm einen Blick zu. »Was hast du denn von deinem Besuch erwartet? Dass wir uns frisch verlieben und du zurückkehrst in dein … Ich weiß nicht. Hast du überhaupt ein Zuhause?«
Er antwortete nicht. Es war zwecklos.
»Vielleicht glaubst du, wir können irgendwie eine glückliche Fernbeziehung führen. Aber sag mir eins: Könnten wir uns wirklich darauf verlassen, dass du zu Geburtstagen und in den Ferien auftauchst? Du hast schließlich keinen Bürojob, bei dem man von neun bis fünf arbeitet.« Sie stoppte vor einer Ampel. »Oder hast du vor zu kündigen? Ist es das, was du dir vorstellst?«
»Noch nicht«, brachte er hervor.
Schweigen folgte. Erst nachdem sie sich wieder in Bewegung gesetzt hatten, sprach sie leiser weiter. »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken über alles, und eine Sache, die ich nicht verstehen konnte, war ich selbst. Warum bin ich letzten Juli nicht mit dir mitgegangen? Da kommt mein Mann zu mir, erzählt mir, sein Leben ist in Gefahr, und wenn wir alle zusammenbleiben wollen, gibt es nur die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Du hast dich wirklich ganz klar ausgedrückt, Milo. Sogar ein Idiot hätte das verstanden.«
Er wartete.
»Ich hab auf einmal nicht mehr begriffen, warum mir mein Nein so leichtgefallen ist. Natürlich gab es eine Menge praktische Gründe, aber das hätte nicht gereicht. Ich hab die Entscheidung unbewusst getroffen. Mein Unbewusstes hat gemerkt, dass abgesehen von der ganzen Melodramatik in unserer Ehe irgendwas nicht gestimmt hat. Vielleicht hatte ich von Anfang an kein Vertrauen zu dir. Vielleicht hatte meine Liebe Grenzen. Ich weiß es nicht, noch immer nicht. Ich weiß nur, wenn wir wieder zusammenkommen, dann darf es nicht so sein, wie es vorher war. Also müssen wir uns bemühen und gemeinsam arbeiten, um rauszufinden, was nicht gestimmt hat, und um dann zu sehen, ob wir es reparieren können. Nicht diese einseitige Therapie, die wir gemacht haben,
sondern eine echte, engagierte Therapie, hinter der wir beide stehen.«
Sie schaffte es immer wieder, ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er die Kontrolle über eine Diskussion verloren hatte. Dazu brauchte sie nur dieses Wort benutzen: das Unbewusste. So wurde sie zur Erwachsenen, auf Augenhöhe mit Dr. Ray, und er zum Kind. Und wie zur Bestätigung stieg plötzlich eine kindische Fantasie in ihm hoch, ein seichter Gedanke: Sie war durcheinander, hatte keinen Überblick mehr. Ihre Ehe war doch sechs Jahre lang gut gelaufen, dann waren ein paar Probleme aufgetaucht, und sie hatte den Glauben verloren. Patrick – ja, bestimmt war er es, der sie in die Irre führte. Milo musste die Kontrolle zurückgewinnen. Er würde sie zum Anhalten zwingen und sie überwältigen. Sie an einen Ort bringen, wo er das Sagen hatte, wo er Zeit und Mittel hatte, um sie von der Unlogik ihrer Argumente zu überzeugen, denn genau so war es: Ihre Argumente waren unlogisch. Sie ließen die Liebe aus, und eine Logik, die die Liebe ignorierte, war von Anfang an fehlerhaft.
Dann verebbte die Fantasie genauso schnell, wie sie seinen Kopf geflutet hatte, und er erkannte, dass das die ganze Zeit schon das Problem gewesen war: Er hatte gedacht wie ein Tourist. Für Touristen ist alles möglich; Widerspruch ist nur eine belanglose Unannehmlichkeit. Touristen glauben wie Kinder, dass ihnen die Welt gehört. Früher war er nicht so gewesen. Die Arbeit hatte ihn infantil gemacht.
Tina war noch nicht fertig. »Ich hab ihn gefragt, Jewgeni. Ich hab ihn gefragt, ob du deinen Job einfach aufgeben und zurückkommen kannst. Seine Antwort war die gleiche wie deine gerade: Noch nicht. Er meint, du brauchst Zeit.« Sie wartete auf einen Einwand. Er hatte nichts einzuwenden.
»Erinnerst du dich, was ich früher einmal zu dir gesagt habe? Als wir uns kennengelernt haben, warst du Agent im Außendienst, aber wenn du dabeigeblieben wärst, hätte ich dich nicht geheiratet. Ich bin keine Ehefrau, die mühelos mit langen Abwesenheiten oder der Sorge fertig wird, dass mein Mann vielleicht nie wieder nach
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