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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Baggallini-Tasche auf Rädern mitgebracht: die offizielle »Ausstattung«, die die meisten Touristen nicht benutzten, weil sie viel zu unhandlich war.
    Nachdem sie die Maschine der American Airlines nach London bestiegen hatten, stöpselte sich Milo in seinen iPod ein, drückte sich eine Gratisserviette an die Nase und legte den Kopf so weit wie möglich zurück. Mit geschlossenen Augen lauschte er David Bowie, zirka 1972:
    News guy wept and told us,
Earth was really dying
    Er war nicht wütend über den Faustschlag – er hatte ihn verdient. Die Auseinandersetzung mit Einner im letzten Jahr war für den Jüngeren äußerst erniedrigend gewesen, der mitten in einer Sitzung von der Toilette gerissen und dann mit der Hose um die Knöchel und verschmiert mit der eigenen Scheiße in einen Duschvorhang gewickelt worden war.
    Viel schockierender für ihn war, dass er hier im Flieger saß. Drummond hatte ihn nicht gefeuert; anders als erwartet war er immer noch kein freier Mann. Im Gegenteil, jetzt hatte er sogar einen Aufpasser, damit er nicht aus der Reihe tanzte.
    Irgendwo über dem Atlantik liefen sie sich bei den Toiletten über den Weg. »Wenn du eine Entschuldigung erwartest«, meinte Einner, »dann hast du dich geschnitten.«
    Milo setzte ein großzügiges Lächeln auf. Sein Blick fiel auf die getrockneten Flecken an der Serviette. Die Blutung hatte aufgehört. »Ich frage mich nur, warum ich noch dabei bin. Drummond traut mir nicht.«
    Einner wiegte den Kopf hin und her, dann ließ er eine Stewardess vorbei. Er flüsterte: »Weißt du, wie viele Touristen wir im Moment in Europa haben?«
    In seiner Zeit als Verwaltungsangestellter war zwölf die Standardzahl gewesen, aber danach hatte es Kürzungen gegeben. »Acht?«
    »Fünf«, entgegnete Einner. »Uns beide eingeschlossen. In den letzten Monaten haben wir drei verloren, und einer von den fünf liegt in einem Krankenhaus in Stockholm.«
    »Das hat er dir alles erzählt?«
    »Dieser Typ ist nicht wie Grainger. Ich weiß, der Alte war dein Freund, aber wenn es darum ging, Informationen rauszulassen, war er eine gottverdammte Sphinx. Und Mendel – mit dem hattest du doch auch zu tun?«

    Milo nickte.
    »Von ihm hat man schon ein bisschen mehr erfahren, aber irgendwie hat er die wichtigsten Einzelheiten immer weggelassen. Drummond dagegen …« Er verstummte. »Bei ihm läuft das alles eher partnerschaftlich. Mir gefällt der neue Tourismus.«
    »Und was hat er dir sonst noch erzählt?«
    Einner wedelte mit dem Zeigefinger. »So leicht kriegst du mich nicht dran. Es muss reichen, dass dir die Situation den Arsch gerettet hat. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Touristen zu verlieren, auch wenn sie so fertig sind wie du.«
    »Wir.«
    »Was?«
    »Du hast gesagt, wir können es uns nicht leisten, Touristen zu verlieren. Drummond hat es wirklich geschafft, dass du dich wie sein Partner fühlst. Fantastisch.«
    Einner tat den zynischen Einwand mit einer wegwerfenden Handbewegung ab und entfernte sich. Milo beneidete ihn um seinen Glauben an den neuen Wir-Tourismus.
    Wegen des dichten Flugverkehrs mussten sie eine halbe Stunde über Heathrow schweben, ehe sie am Samstagabend um neun endlich landen konnten. Milo hatte keinen Schlaf gefunden, und als sie sich dem Gate näherten, war er kurz davor, schlappzumachen. Einner hingegen wirkte auffallend jung und wach zwischen den von Bord schlurfenden Passagieren. Getrennt marschierten sie weiter durch das Labyrinth von Gängen zur überfüllten Grenzkontrolle. Nach zwanzigminütigem Warten erkundigte sich ein übertrieben höflicher Beamter: »Hatten Sie einen Unfall, Sir?«
    »Bitte?«

    Er tippte sich seitlich an die Nase.
    »Das war noch in Amerika. Ich werd’s überleben.«
    »Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, Mr. Hall. Ohne weitere Unfälle.«
    Er hatte das Gefühl, am ganzen Körper zu kleben, als er sich in seinem gestärkten Anzug durch das Gedränge echter Touristen schob, aber es war eine weitere Regel des Tourismus, dass man beim Reisen möglichst wie ein Geschäftsmann aussehen muss, der etwas in das Gastgeberland investieren und Geld ausgeben möchte, der nichts übrig hat für Zollverzögerungen und mit seiner Goldkarte leicht woandershin ziehen könnte. Während junge und alte Besucher angesichts der strengen Fragen der britischen Beamten erröteten, konnte Milo mit seinem Baggallini unbehelligt durchgehen.
    Zur Vorbereitung auf den nächsten Tag sah er sich die Läden im Terminal 3 an

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