Last Exit
er sich an einem Baumstamm ab und zerrte hinten das Bein hoch, dreimal stoppte er an einer Bank. Bei der dritten fasste er in die Tasche seiner Laufhose, nahm aber nur eine Packung Zigaretten heraus, die er wieder zurücksteckte. Während er rauchte, fand Milo eine bessere Position und beobachtete, wie er die Kippe ausdrückte und in einen Abfalleimer warf. Wenig später traf Ryan einen ebenfalls joggenden Bekannten. Sie schüttelten sich die Hand und plauderten einige Minuten,
während der Bekannte in seinen elastischen Schuhen auf- und abfederte. Milo machte Fotos von der gesamten Begegnung.
Um halb zehn kehrte Ryan nach Hause zurück. Milo stopfte Jacke und Krawatte in einen Abfalleimer und setzte sich die Sonnenbrille auf, um sein Erscheinungsbild ein wenig zu verändern, ehe Ryan zur Kirche ging.
In einem dunkelgrauen Anzug kam der Politiker wieder heraus, gefolgt von einer vogelzarten Frau und seinen frisch gewaschenen und gebügelten Söhnen. Die Heath Street erwachte allmählich, die Geschäfte machten auf. In weiten Teilen Londons waren die sonntäglichen Ladenöffnungszeiten auf ein Minimum beschränkt, aber Touristengegenden wie Hampstead waren davon ausgenommen. Die gemischte Bevölkerung des Viertels zog die Jalousien hoch, um sich für den Ansturm der Kunden aus ruhigeren Stadtteilen zu wappnen.
Dreimal blieben die Ryans stehen, und Milo dokumentierte alles mit der Kamera. Zuerst begegneten sie einer alten Frau, die in die gleiche Richtung strebte. Mrs. Ryan trat auf sie zu und half ihr über die Straße. Nach kurzer Beratung blieb die ganze Familie bei der Frau und passte sich ihrem schlurfenden Tempo an. Als Nächstes umschloss ein massiger, weißhaariger Mann mit beiden Händen Ryans Rechte und strahlte ihn mit rot glühenden Wangen an. Ryan machte einen Witz, und der Mann brach in schallendes Lachen aus. Schließlich klopfte er ihm zum Abschied auf die Schulter. Das dritte Zusammentreffen ereignete sich vor einer Halal-Fleischerei. Ein jüngerer, glatzköpfiger Mann hielt Ryan an und flüsterte ihm etwas ins Ohr, während er ihm die Hand schüttelte. Ryan grinste breit, doch ohne zu lachen. Während sie miteinander redeten, öffnete ein bärtiger Mann mit einer kleinen weißen
Kappe, einer Taqiya, die Ladentür hinter ihnen, und beide unterbrachen ihre Unterhaltung, um ihn anzustarren. Dann verschwand der Glatzkopf, und die Familie setzte ihren Weg mit der Alten fort, vorbei an der U-Bahn-Station Hampstead bis zur Church Row, wo zwischen weiteren georgianischen Häusern der Blick frei wurde auf die Versammlung von Gemeindemitgliedern, die sich in den Eingang von St. John-at-Hampstead schoben.
Eigentlich war eine Kirche der ideale Ort für das Weiterreichen von Nachrichten, aber die Ryans nahmen unweigerlich in der ersten Reihe Platz, wo ein heimlicher Austausch so gut wie ausgeschlossen war. Die einzigen Gelegenheiten boten sich also unmittelbar vor und nach dem Gottesdienst bei der Begegnung mit den anderen Kirchgängern. Von der anderen Straßenseite machte Milo Aufnahmen, als Ryan mehreren Leuten die Hand schüttelte. Vor dem Ende der Messe eilte er zurück in die Heath Street und schlüpfte in einen Laden, um eine Jeans, eine Jacke und ein Paar Sportschuhe zu kaufen, die er in einer knallroten Tüte mit sich trug. Auf dem Rückweg zur Kirche bemerkte er an der Church Row einen parkenden Hyundai, hinter dessen Steuer ein Mann über fünfzig saß. Während er weiterstrebte, streifte sein Blick das Gesicht. Irgendwie kam es ihm bekannt vor, aber er konnte es nicht gleich einordnen. Erst als er wieder Aufnahmen von den Gemeindemitgliedern machte, fiel es ihm ein. Vor Überraschung hätte er fast das Telefon fallen lassen.
Als er aufsah, war der Hyundai verschwunden. Der Fahrer war einer von den zwei »Deutschen« aus Berlin, die ihn in einem Opel beschattet hatten.
16
Die Existenz seines Beschatters machte ihm im gesamten weiteren Verlauf der Überwachungsaktion zu schaffen. Waren ihm die Deutschen nach London gefolgt? Wohl kaum. Wahrscheinlich waren es gar keine Deutschen gewesen, was nur bewies, dass seine Akte zutreffender über ihn Aufschluss gab, als Drummond vermutete: Milo war doch nicht so schlau.
Als Ryan um vier Uhr nachmittags zu Hause ankam, fühlte sich Milo angespannt und erschöpft. Immerhin, seine Fotos hatte er gemacht, und er verschickte sie in einem Pub bei einem lauwarmen Steak mit Kidney Pie an eine der Telefonnummern, die ihm Drummond gegeben hatte. Wahrscheinlich ein
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