Last Exit
und kaufte sich ein T-Shirt mit der Londoner Silhouette darauf, weiße Sportsocken und eine Sonnenbrille. Dann fuhr er mit der Rolltreppe wieder hinunter zur Ankunftsetage und reihte sich in die lange Warteschlange vor dem Taxistand ein.
Auf dem Weg in die Backsteinmetropole, nach Piccadilly und Mayfair, ließ er sich seine Situation durch den Kopf gehen. Sein neuer Chef betrachtete ihn voller Misstrauen, und James Einner, der letztes Jahr noch ein kameradschaftliches Verhältnis zu ihm gehabt hatte, hatte ihn hierherbegleitet, um ihn bei jedem Schritt zu überwachen und einzuschüchtern. Warum sollte er sich das gefallen lassen? Warum forderte er den Fahrer nicht einfach auf, ihn wieder nach Heathrow zu bringen? Er konnte sein Telefon in einen Abfalleimer werfen und einen Flug zurück zu seiner Familie buchen.
Adriana war tot – aber nur ein Idiot konnte glauben,
dass ihn das von etwas anderem befreite als seinen Schuldgefühlen, und nicht einmal das stimmte.
Sein Bleiben hatte wie Drummonds Festhalten an ihm weitaus praktischere Gründe als das Schicksal einer jungen Moldawierin: Er war sich nicht sicher, dass er die Abschlussbefragung überstehen würde.
Diese Vernehmungen konnten sich sehr lang hinziehen. Man war aufgefordert, alles auszuspucken, was man getan und gesehen hatte, alle Abwesenheiten und Kontakte zu erklären und jeden Cent zu rechtfertigen, den man ausgegeben hatte. Die Company steckte nicht so viel Geld in Touristen, nur um sie dann einfach ziehen zu lassen. Bevor sie sie freigab, quetschte sie noch möglichst viel aus ihnen heraus. Er wusste genau, dass die Verhörspezialisten Unstimmigkeiten erschnüffelten wie unter feuchtem Laub scharrende Trüffelhunde.
Und wenn er es schaffte? Wenn er die wochenlangen Verhöre überlebte und sie durch irgendeinen glücklichen Zufall keinen Hinweis auf seinen Vater fanden und ihn nicht wegen Hochverrats vor Gericht stellten? Was dann? Würde Drummond wirklich darauf vertrauen, dass er nichts über seine Arbeit ausplauderte? Tom Grainger hätte es getan, aber Grainger war lange Jahre mit ihm befreundet gewesen. Drummond war Milo erst zweimal begegnet, einmal, um ihn zu beglückwünschen, das andere Mal, um ihn zu rüffeln. Auch im neuen Tourismus gab es bestimmt Grenzen – dummerweise wusste Milo nicht, wo sie lagen.
Bevor er das moderne Cavendish Hotel betrat, suchte er eine Boots-Filiale auf. Eigentlich wollte er eine Packung Davidoff, aber um überhaupt weitermachen zu können, musste er sich an die Verheißung einer Zukunft klammern. Auf dem Flug hatte er beschlossen, seine Beziehung
zu Dexedrin zu beenden, und in der Apotheke bat er um Nicorette-Kaugummi mit Pfefferminzgeschmack. Kaum hatte er das Hotel betreten, riss er sofort die Schachtel auf. Er kaute zwei, und die acht Milligramm Nikotin fuhren ihm so heftig in den Kreislauf, dass er an der Rezeption Schluckauf bekam. Das Verlangen nach einer Zigarette verebbte. Wie vorauszusehen, war das Zeug nicht annähernd so gut wie der echte Stoff.
15
Um sechs wachte er auf und betastete seine Nase. Sie war doch nicht gebrochen. Er konnte durch sie atmen, obwohl sie einen deutlichen Violettschimmer zeigte und leicht geschwollen war. Ein Faktor, der ihm seine Überwachungsaktion sicher erschweren würde.
Unter dem Anzug und der Krawatte trug er das London-Shirt, und in einer Tasche steckten die weißen Socken. Er nahm die am Sonntagvormittag halbleere U-Bahn nach Hampstead und lief dann zu Fuß zur East Heath Road weiter. Unter den Fassaden mit Blick über den Park befand sich eine unauffällige Villa im georgianischen Stil, die einem gewissen Edward Ryan gehörte.
In Zubenkos Erzählungen waren auch zwei Londoner Figuren aufgetaucht, und Milo hatte den Auftrag, eine davon zu überprüfen. Es war ein Mann, den die Zeitungen im Allgemeinen als »fremdenfeindlich, rassistisch und nationalistisch« beschrieben – ganz wie die von ihm geleitete politische Partei. Obwohl Enthüllungsberichte des Guardian und der BBC-Sendung Panorama ihr und ihrem Chef Verbindungen zu Neonazibewegungen nachgewiesen hatten, hatte die Partei bei den jüngsten Lokalwahlen 4,6 Prozent der Stimmen gewonnen.
Drummond hatte ihn im Auto am JFK instruiert, während Einner dabeisaß und zuhörte. Vermutlich hatte er seine Anweisungen schon vorher erhalten. Zunächst zeigte
Drummond Milo das Foto eines adretten angegrauten Engländers mit Melone. »Edward Ryan, Vorsitzender der Union of British Nationals. Laut Marko nimmt er
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