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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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zur Kenntnis. Er war erfüllt von einem einzigen Gedanken: Sie kennt meinen Namen.
    »Und?«, sagte der Mann. »Meine Quittung?«

2
    Als der BMW auf die Heilmannstraße bog, starrte Erika Schwartz den kleinen, schnurrbärtigen Mann an, der neben ihr auf der Rückbank saß. »Also?«
    Oskar Leintz hielt ein bedrucktes Blatt auf dem Schoß, das vom vielen Falten und Entfalten ganz zerfleddert war. »Sie ist tot.«
    »Wann?«
    »Die Leiche wurde vor einer halben Stunde gefunden.«
    »In Gap?«
    »In der Nähe. Auf dem Weg zum Flughafen. Auch die französische Agentin ist tot.«
    »Presse?«
    »Zu spät. Sie haben schon davon Wind bekommen.«
    Während Oskar und der Fahrer Gerhard den Wachposten vor dem Stahlbetondurchgang ihre Papiere zeigten, nahm sie ihr Handy heraus. Als sie den modernen Bau mit dem Namen Gesamtlage / Führungs- und Informationszentrum erreichten, hatte sie Inspektor Hans Kuhn von der Berliner Kriminalpolizei bereits alles Wesentliche berichtet.
    »Das begreife ich nicht«, brach es immer wieder aus ihm heraus. »Das ist doch völlig sinnlos.«
    »Von wegen«, fauchte sie. Trotz der langjährigen Freundschaft mit dem Berliner Polizisten ging ihr seine hilflose Rührseligkeit immer noch gegen den Strich. »Wir wissen bloß noch nicht, was dahintersteckt.«

    »Aber so ein junges Ding. Sie war doch erst fünfzehn …«
    »Das schränkt wenigstens die Möglichkeiten ein, und das ist gut für uns, Hans.«
    Am Morgen war der Anruf eingetroffen. Adriana Stanescu war ihren Entführern aus der kleinen Berghütte in Gap im französischen Département Hautes-Alpes entkommen. Sie lief in den Ort und stieß dort auf einen Bauern, der ihr sein Telefon lieh. Ihr Anruf zu Hause war eine große Überraschung für Inspektor Kuhn, der als routinierter Kripobeamter die Hoffnung bereits aufgegeben hatte. Eine Woche lang waren keine Lösegeldforderungen eingegangen, und das ließ nach aller Erfahrung nichts Gutes erwarten. Adriana Stanescus Kidnapper war offenbar ein Sexualverbrecher, und inzwischen hatte er sie längst irgendwohin verfrachtet, sie mit Drogen oder Gewalt gefügig gemacht oder getötet. Nur wegen der Öffentlichkeitswirkung hatte Kuhn den Kontakt zu den Stanescus gehalten. Wenn er den Fall eines verschleppten Einwandererkinds fallengelassen hätte, hätte ihn die Presse gekreuzigt.
    Daher war er gerade bei den Stanescus, als sich Adriana meldete. Erstaunlicherweise bewahrte das Mädchen klaren Kopf und konnte ihm eine Chronologie der Ereignisse skizzieren: Entführt in Berlin von einem Mann, der sich als Kollege ihres Vaters ausgab: Ende dreißig, dunkle Haare. In einen weißen Lieferwagen umgeladen – ein Mercedes, wie sie vermutete – und nach Frankreich gebracht von drei Männern: ein Deutscher, ein Spanier und ein Russe. In den Bergen gefangen gehalten. Sie war durch ein zerbrochenes Fenster geflohen.
    Er forderte den Bauern auf, sie zum Polizeirevier in Gap zu bringen, und bat Erika, Kontakt mit dem französischen Inlandsnachrichtendienst Direction de la Surveillance
du Territoire (DST) aufzunehmen, damit Adriana nach Berlin geflogen wurde.
    »Wer trägt die Kosten?«, hatte Erika gefragt.
    »Das können wir machen, wenn nötig.«
    »Könnte in der Tat nötig sein.« Sie suchte nach einem Vorwand, um nicht in die Sache verwickelt zu werden. »Eigentlich kann sie doch auch von der Polizei in Gap zum Flughafen gebracht werden. Wozu der ganze Wirbel?«
    »Mir kommt das Ganze einfach komisch vor.« Kuhn war offenbar frustriert, dass er es nicht besser ausdrücken konnte.
    Aber sie verstand ihn recht gut. Nach Adrianas Angaben war es zu keiner Vergewaltigung und auch zu keinem Vergewaltigungsversuch gekommen, sie war nur von drei Männern in Frankreich bewacht worden. Und anscheinend war keiner dieser Männer Franzose. Oder Moldawier.
    Warum?
    Also war Erika Kuhns Bitte nachgekommen und hatte ihre Kontaktperson bei der DST angerufen. Sie erhielt die Zusage, dass man Adriana bis morgen mit Begleitung nach Hause bringen würde.
    Die Sache hatte sie den ganzen Tag beschäftigt und von wichtigeren Angelegenheiten abgelenkt, und sie hatte sich ganz besonders auf das allabendliche Ritual mit Riesling und Snickers gefreut. Und jetzt das.
    Weil sie sich so langsam bewegte, war Oskar vor ihr die Stufen hinaufgeeilt, um durch die Metalldetektoren zu ihrem Büro am Ende des langen Korridors zu gelangen. Als sie mit ihrem Wein und dem Schokoriegel in der Hand ankam, hatte er schon das Licht angeknipst und ihren

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