Last Exit
Strecke deckte. Auf diesen Punkt baute die Verteidigung ihre Argumentation auf, und der Richter gelangte zu der Auffassung, dass Mihai nicht aus Profitgier, sondern aus Hilfsbereitschaft gegen das Gesetz verstoßen hatte. Er kam mit einer Geldstrafe
von zwölftausend Euro davon und musste nicht ins Gefängnis.
Erika wäre ein richtiger Menschenschmuggler lieber gewesen, dessen Fracht für Sklavenarbeit und Prostitution bestimmt war – so jemanden konnte man verstehen und entsprechend gegen ihn vorgehen. Aber Mihai Stanescu war die schlimmste Sorte: ein Überzeugungstäter. Und in diesen Zeiten musste man Angst haben vor Menschen, die aus Überzeugung handelten.
Entmutigt sah sie ein, dass sie mit Lesen allein nicht weiterkam. Sie musste sich persönlich mit den Stanescus unterhalten.
Sie wählte eine Telefonnummer, und eine jung klingende Frauenstimme meldete sich in schläfrigem Singsang. »Hejsan.«
»Ich möchte bitte Oskar sprechen.« Als er am Apparat war, entschuldigte sie sich, dass sie ihn und seine Freundin aufgeweckt hatte. Dann rückte sie mit der schlechten Nachricht heraus. »Ich brauche Sie morgen als meinen Fahrer.«
»Aber es ist Samstag.«
»Ja, Oskar, so ist es.«
»Wohin?«
»Nach Berlin.«
Er seufzte laut. Eine fünfstündige Hin- und Rückfahrt hieß, dass sein ganzes Wochenende im Eimer war.
»Wenn Sie wollen«, fügte sie hinzu, »können Sie Ihre kleine Schwedin mitnehmen. Vielleicht hat sie Lust auf einen Ausflug.«
Oskar hängte ein.
3
Ihr war klar, dass schon am Morgen die Gerüchte einsetzen würden. Oskar erzählte bestimmt nichts herum, aber die Hausmeister würden es sich nicht nehmen lassen, sich über die zwei leeren Flaschen Riesling in ihrem Abfalleimer zu ereifern. Wenn dann am Montag das Gros der Mitarbeiter wiederkam, würde der Klatsch eine Dimension erreichen, die nicht mehr zu ignorieren war. Dann konnten die höheren Chargen – und davon gab es neben ihrem unmittelbaren Vorgesetzten Teddy Wertmüller eine ganze Menge – darüber befinden, ob die Gerüchte eine offizielle Untersuchung erforderten oder als harmlos abgetan werden konnten. Aber auch Letzteres würde sie nicht zum Verschwinden bringen, denn alle Gerüchte wurden erfasst, falls sie später einmal benötigt wurden.
Um einer potenziellen Verbreitung vorzubeugen, stopfte sie die Flaschen und den Plastikbecher in einen Trolley, den sie im Schrank aufbewahrte, und rollte ihn an den Nachtwächtern vorbei zum Parkplatz. Es war zwei Uhr morgens, und sie fuhr ganz vorsichtig durch die Absperrung, vorbei an Herrn al-Akirs geschlossenem Laden und durch den dichten Perlacher Forst nach Hause.
Am Samstagvormittag schlief sie aus, bis die Wirkung des Weins verflogen war. Ihr einstöckiges Haus lag an einer stillen grünen Gasse mit abgeschiedenen Gebäuden, in denen erfolgreiche Geschäftsleute, andere BND-Verwaltungskräfte
und einige Ausländer aus dem Europäischen Patentamt wohnten. Entlang der Straße sorgten Überwachungkameras an Laternen dafür, dass nichts ihre Bettruhe störte.
Als sie mittags erwachte, nahm sie instinktiv eine Plastikschüssel aus einem Schrank und suchte nach der Tüte mit Katzenfutter. Herr al-Akir hatte zum Teil recht gehabt. Erika Schwartz hatte tatsächlich eine Tigerkatze besessen, doch vor einer Woche hatte sie sie tot vor der Hintertür gefunden. Selbst jetzt, nach sieben Tagen, passierte es ihr noch, dass sie Anstalten traf, Grendel zu füttern, bevor ihr einfiel, dass sie das Katzenfutter weggeworfen hatte und warum.
Sie war misstrauisch gewesen, weil die Leiche der Katze so verdreht war, aber die BND-Forensiker erklärten ihr, dass nicht Gift die Ursache war, sondern Krebs. Obwohl sie sich gar nicht so viel mit ihren Nachbarn abgab, dass diese einen Groll gegen sie hätten hegen können, ließ sie sich ihren Argwohn nicht nehmen.
Um zwei holte Oskar sie mit seinem VW ab, und während der Fahrt auf der A9 benutzte sie sein BlackBerry – bis jetzt hatte sie sich nicht überwinden können, sich eins dieser allgegenwärtigen Biester zu besorgen –, um ihre Online-Lektüre fortzusetzen. Mehrmals wurde sie von Oskar unterbrochen, und sie musste ihm das wenige erzählen, das sie wusste. »Nein, es ist kein Pädophilenring. Dann wäre sie nie entkommen. Und wenn es ihr gelungen wäre, hätten sie sie nicht aufspüren können, außer sie haben einen Informanten bei der französischen Polizei.«
»Unmöglich ist das nicht.«
»Nein«, erwiderte sie ruhig. »Wahrscheinlich
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