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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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nicht. Wir müssen es im Kopf behalten.«

    Er lächelte, zufrieden, dass er etwas beigetragen hatte zu dem Nebel an Möglichkeiten. Sie fand, dass ihm ein kleiner Dämpfer nicht schaden konnte. »Wir treffen uns später im Hotel. Sie setzen mich zuerst bei Hans ab, dann fahren Sie weiter zur Gneisenaustraße.«
    Er wirkte verdattert. »Zur Gneisenaustraße?«
    »Sehen Sie sich nach Kameras um. Die Kamera der Polizei funktioniert nicht, aber es gibt garantiert Läden mit Sicherheitseinrichtungen.«
    »Na, wunderbar.«
    »Kopf hoch, Oskar. Das ganze Leben mit der Schwedin liegt noch vor Ihnen.«
    In Hans Kuhns Wohnung in Pankow lehnte sie die Einladung zu einem Drink ab. Sie wollte etwas über die Stanescus erfahren. »Welchen Eindruck haben sie auf dich gemacht?«
    »Einfache Leute.« Er nippte an einem Whiskey, der die Enden eines weißen Schnurrbarts befeuchtete. »Anständig, sehr ernst. Ich war dabei, als die Kleine angerufen hat. Danach hörten sie gar nicht mehr auf zu reden, so erleichtert waren sie. Sie sind bestimmt nicht in die Sache verwickelt. «
    »Und der Onkel?«
    »Mihai?« Er wiegte den Kopf. »Das Gehirn der Familie. Abgebrüht. Hat die deutsche Staatsangehörigkeit und lässt sich nichts vormachen. Die Eltern dagegen sind noch ein bisschen verwirrt wie alle neuen Einwanderer.«
    »Vielleicht sollte ich gleich mit ihnen reden.« Sie spürte ihre Ungeduld.
    »Sie haben doch gerade erst die Leiche ihrer Tochter in Empfang genommen.«
    »Dann sind sie aufgewühlt. Das macht die Vernehmung leichter.«

    »Vernehmung? Mensch, Erika. Lass ihnen doch Zeit. Du kannst morgen mit ihnen reden, wenn sie von der Kirche zurückkommen.«
    »Kirchgänger?«
    »Die bulgarische orthodoxe Kirche in der Krausenstraße. In Deutschland gibt es keine moldawischen Kirchen, und die nächste rumänische ist in Nürnberg, also behelfen sie sich so.«
    »Na ja, es ist sowieso schon spät.«
    Hans Kuhn hob sein Glas. »Und du bist unhöflich. Los, trink einen Schluck.«
    Vier Whiskey und einen Mecklenburger Dorsch später wollte Erika nur noch weg. Nicht der Alkohol oder der verkochte Fisch hatten ihr die Laune verdorben, sondern die peinliche Szene, die ihr Kuhn zumutete. Mit Tränen in den Augen lamentierte er: »Ich war so sicher, dass sie tot ist. Völlig überzeugt. Nach einer Woche hatte ich mich damit abgefunden. Dann lebt sie auf einmal doch noch. Ein echtes Wunder!« Er nahm sein Glas, während seine Zunge im Mund herumwanderte. »Und plötzlich ist sie wieder tot. Einfach niederschmetternd. Da wäre es besser gewesen, sie wäre gleich gestorben.« Und kurz darauf: »Ich hasse meine Arbeit.«
    Danach brachen sich seine Schuldgefühle in Wutanfällen Bahn, und er verstieg sich zu unbedachten Beteuerungen, was er mit den Entführern anstellen würde, sobald er sie gefasst hatte. Da wusste sie, dass es Zeit für den Aufbruch war. Sie rief ein Taxi, das sie zum Plaza Hotel am Kurfürstendamm brachte, und kaufte sich in einem nahe gelegenen Laden ein Snickers, bevor sie sich anmeldete. Beim Zimmerservice bestellte sie sich eine Flasche Pinot Blanc.
    Sie hatte das Snickers verspeist und den Wein zur Hälfte
getrunken, als es an der Tür klopfte. In der zurückliegenden Stunde hatte sie jeden Gedanken an den Fall vermieden und ihre deduktiven Fähigkeiten auf die Folge einer Fernsehserie mit einem attraktiven Polizisten und einem Hund gerichtet, der weit mehr Charme und Verstand besaß als sein Herrchen. Doch so peinlich es ihr war, sie hatte noch immer keine Ahnung, wer der Mörder war.
    Erika schloss die Tür auf und stockte kurz, als sie die leuchtend rote Prellung um Oskars linkes Auge bemerkte. Seine Züge schienen völlig neu angeordnet, und er wirkte mehrere Jahre jünger. Ein seltsamer Effekt. Geronnenes Blut hatte sich um einen Schnitt an der Augenbraue gesammelt.
    »Wollen Sie mich nicht reinbitten?« Gereizt wedelte er mit einer Einkaufstasche, durch deren dünnes Plastik sie eine Videokamera zu erkennen glaubte. »Das mindeste, was ich dafür verdiene, ist was Trinkbares.«
    Sie machte einen Waschlappen nass und ging daran, mit der rauen Hand einer unerfahrenen Pflegerin sein Gesicht zu reinigen. Er zuckte zusammen und nahm ihn ihr schließlich ab. Als er aufstand, umklammerte er mit einer Hand den Plastikbecher mit zimmerwarmem Wein und presste sich mit der anderen den Lappen auf die Braue. Sie nahm die Sachen aus seiner Tüte. Eine neue, noch verpackte Videokamera (»Ich erwarte, dass mir die Kosten erstattet

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