Last Exit
werden«) und eine MiniDV-Kassette, eilig mit einem schwarzen Stift beschriftet: 15-2-08, 16-21 .
»Es war nicht leicht«, merkte er an. »Dafür hab ich was gut.«
»Nächstes Mal kriegen Sie eine eigene Flasche. Aber jetzt erzählen Sie mal.«
Wie es der Zufall wollte, war er ausgerechnet in einem Kameraladen fündig geworden. Drescher Foto bot eine
eigenwillige Mischung aus neuen und antiken Video-, 16-Millimeter- und Fotokameras, die verlockend im Schaufenster drapiert waren. »Alle in eine Richtung, damit man erkennt, wie hübsch sie sind. Nur eine nicht, hoch oben in der Ecke. Sie zeigt auf die Straße, und ein kleines rotes Licht leuchtet daran. Der Eigentümer hat sein eigenes Sicherheitssystem.«
»Sehr schön.« Sie kippte die Flasche, aber sie war leer. »Soll ich noch eine bestellen?«
»Ja, bitte.«
Nachdem sie angerufen hatte, ließ sie sich auf dem Bett nieder, während er sich an den Schreibtisch setzte, der einen Blick auf das geschäftige Nachtleben Berlins erlaubte; Rufe und Motorenlärm drangen zu ihnen herauf.
»Lassen Sie mich raten. In dem Haus wohnt jemand mit dem Namen Drescher.«
»Sie hätten Detektiv werden sollen, Frau Schwartz.«
»Hat er sich über Ihren Besuch gefreut?«
»Könnte ich nicht behaupten.«
Herr Drescher entpuppte sich als Einsiedler, dessen Leben sich ausschließlich in seinem Geschäft und der schmutzigen Wohnung abspielte. Diese war bis zur Decke vollgestellt mit MiniDV-Kassetten und vier Fernsehern, durch die er beobachtete, wie die Welt an seinem Laden vorüberzog. Wahrscheinlich war er paranoid, denn zuerst wollte er Oskar überhaupt nicht einlassen. »Ich hab ihm erklärt, von wem ich komme, aber das hat die Sache nur schlimmer gemacht. Am Ende musste ich ihm mit einem Durchsuchungsbefehl drohen, und da hat er richtig Angst bekommen – kein Wunder bei dem, was wahrscheinlich auf diesen Kassetten ist.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Nach einer längeren, von Schweigen und Ausflüchten
geprägten Unterhaltung gab Herr Drescher schließlich zu, dass er eine Aufnahme von dem besagten Tag besaß. Oskar fragte, ob er nicht daran gedacht hatte, das Band der Polizei zu übergeben, nachdem er von dem verschwundenen Mädchen gehört hatte. Seine einzige Antwort darauf war: »Das geht mich nichts an. Ich kümmere mich um meine eigenen Sachen.«
Oskars Blick glitt zu den dreckigen Tellern, die auf Stapeln von Kassetten balancierten. Er sah keinen Grund, an Dreschers Aussage zu zweifeln.
»Wir haben uns hingesetzt und es uns gemeinsam angeschaut. Wie Sie gleich feststellen werden, ist die Qualität hervorragend, und alles hat einen Zeitcode. Und das Schönste ist der perfekte Blick auf die Hofeinfahrt.«
»Und?«
Er stand auf, um die Videokamera aus ihrer Schachtel zu befreien. »Ich probier mal, ob ich das Ding an den Fernseher anschließen kann.«
Als er auf dem Boden hockte und die Gebrauchsanleitung mit den obligatorischen vielsprachigen Warnungen studierte, fragte sie: »Und wann hat er Sie geschlagen?«
»Wer?«
»Drescher.«
Grinsend berührte er seine Braue. »Das Licht in seinem Treppenhaus funktioniert nicht. Wenn ich es Ihnen gleich erzählt hätte, hätten Sie mich vielleicht nicht reingelassen. «
»Sie sind ausgerutscht.«
»Meinen Sie, Sie wären besser klargekommen auf dieser Treppe?«
Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, denn trotz seiner Liebe zu moderner Technik war Oskar nicht besonders geschickt im Umgang mit ihr. In dieser Zeit wurden
eine Flasche Pinot Blanc und zwei Weingläser heraufgebracht. Die junge Angestellte schien zuerst belustigt, als sie die Szenerie wahrnahm: Wein für zwei, eine gewaltige alte Frau auf dem Bett und ein magerer, schnurrbärtiger Typ Anfang dreißig auf dem Boden. Dann bemerkte sie die Videokamera und das geschwollene Auge des Mannes, und ihr Amüsement verwandelte sich in Ekel; sie war verschwunden, ehe Erika ein Trinkgeld herauskramen konnte.
Oskar hatte das Band bei Drescher auf 16:13 eingestellt. Die Kamera war nicht gerade auf die Gneisenaustraße gerichtet, sondern in schrägem Winkel, um den Ladeneingang zu erfassen. Im Vordergrund erkannte man den Gehsteig, parkende Autos und den Verkehr, der an den kahlen Bäumen auf dem Mittelstreifen vorbeirauschte. Der Hintergrund wurde von einem Wohnhaus und einem breiten Hofeingang beherrscht.
»Da ist er.« Oskar deutete auf einen schwarzen BMW, der in den Hof einbog.
Angestrengt starrte sie auf das verschwommene Bild, dann setzte sie ihre Lesebrille
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