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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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hatten ihn also spätestens um vier weggebracht. Die Sonne ging gegen halb sieben auf, also waren sie schon mindestens zweieinhalb Stunden unterwegs, wahrscheinlich länger. Inzwischen mussten sie schon in Tschechien oder Deutschland sein.
    Natürlich konnte er sich auch täuschen – vielleicht waren sie nach Osten gefahren –, aber der Mann mit dem blauen Auge und dem Schnurrbart hatte zugegeben, dass er Deutscher war, daher ging er davon aus, dass sie ihn nach Deutschland brachten. Falls er sich irrte, spielte es auch keine Rolle. Es kam ihm ohnehin nur darauf an, seine Panik zu bezwingen.
    Doch obwohl er jetzt einen Ort in Zeit und Raum gefunden hatte, zuckten seine blutleeren, kalten Hände weiter, weil er einen Gedanken nicht abschütteln konnte: So hat sie sich gefühlt. So war ihr zumute, als ich sie entführt habe.
    Als später der Kofferraumdeckel hochklappte, drangen graues Licht und kalte Luft herein. Der bedeckte Himmel war nur direkt über ihm sichtbar, links und rechts ragten die Wände großer Sattelschlepper auf, zwischen denen das Auto geparkt war. Er hatte seine Jacke an – jemand hatte ihn also angezogen –, und um die Jacke spannte sich ein weißes Laken. Blinzelnd beäugte er den Schnurrbartträger, der ihn kaugummikauend fixierte. Er spürte ein Verlangen nach Nicorette. Oder Dexedrin.
    »Ich bin amerikanischer Staatsbürger«, sagte er mit möglichst amerikanischem Tonfall. »Sie können mich nicht so behandeln.«

    »Natürlich nicht«, antwortete der Deutsche. Er spähte über das Autodach und hinter sich, dann setzte er sich auf die Stoßstange. Zusammengekrümmt im Kofferraum, überlegte Milo, wie er dem Mann einen Tritt versetzen könnte, aber es war aussichtslos. »Wollen Sie Wasser?«
    »Ich will Antworten.«
    »Aber auch Wasser?«
    Richtig cool, dieser Deutsche. Milo nickte. »Ich bin total ausgetrocknet. Und ein Aspirin, falls Sie welches haben.«
    Er hatte. Einer seiner Partner, ein Riesenkerl, tauchte auf und hielt Milos Kopf hoch, damit er aus einer Wasserflasche trinken konnte; dann schob ihm der Schnurrbartträger zwei Paracetamol zwischen die Lippen. Noch ein Schluck. Als sie fertig waren, spürte Milo kalte Nässe am Kinn.
    Sie befanden sich auf einem Autobahnparkplatz, verdeckt zwischen zwei Lastwagen, um nicht aufzufallen. Der Typ, der ihm den Kopf angehoben hatte, zündete sich eine Zigarette an, und ein Stück entfernt bemerkte Milo den Dritten – klein, drahtig –, der am Ende der Lastwagen stand und die Straße im Auge behielt.
    »Was zu essen?«, fragte der Schnurrbart.
    »Würge ich sowieso gleich wieder hoch.«
    »Stimmt wahrscheinlich.«
    »Wollen Sie mir vielleicht verraten, warum ich hier bin?«
    »Eher nicht.« Er stand auf, ging aber nicht weg.
    »Ich muss pinkeln.«
    »Sie sind doch erwachsen. Das halten Sie schon aus.«
    »Haben Sie vielleicht Nicorette?«
    »Bitte?«
    »Nikotinkaugummi. Meine sind mir ausgegangen. Haben Sie welche?«

    Nach kurzer Überlegung schüttelte der Mann den Kopf. »Wir können Ihnen eine Zigarette geben.«
    »Ich möchte nicht wieder anfangen.«
    »Glauben Sie wirklich, dass das jetzt noch eine Rolle spielt?« Sein Gesichtausdruck ließ auf echtes Interesse schließen.
    »Vergessen Sie’s«, krächzte Milo. »Warum machen Sie nicht einfach den Kofferraum zu, damit ich mich ausschlafen kann?«
    Lächelnd klappte der Mann den Deckel zu. Milo bedauerte seinen Witz.
    Keine fünf Minuten später öffnete sich der Kofferraum wieder, und zwischen den Lastern rollte ein kleiner Lieferwagen auf ihn zu, durch dessen geöffnete Hecktüren eine arretierte Krankenbahre zu erkennen war. Das EU-Nummernschild war deutsch – seine Vermutung traf also zu. »Zeit zum Aufstehen, Mr. Weaver.«
    »Mr. wer?«
    Der Mann starrte ihn an.
    Milo grinste. »Jetzt kapier ich – ihr habt den Falschen erwischt. Ich heiße Hall. Sebastian Hall. Hören Sie …« Er glaubte selbst nicht, dass er damit durchkommen würde. »Ich weiß nicht, wer ihr seid. Lasst mich einfach frei, und ich sag kein Wort. Dann könnt ihr euch auf die Suche nach diesem Weaver machen. Ich meine, ihr wollt doch den Richtigen schnappen, oder?«
    Die mürrische Miene des Mannes blieb unverändert. »Ob Milo Weaver oder Sebastian Hall – für mich ist das ganz das Gleiche.«
    Seine zwei Freunde halfen Milo beim Aufsetzen, dann wuchteten sie ihn auf die Bahre. Die Verlegung verlief alles andere als reibungslos – so etwas machten sie bestimmt nicht routinemäßig –, und Milos Kopf

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