Last Exit
hat.«
»Na schön.« Stöhnend kam sie auf die Beine. »Dauert nur kurz.«
In Dieter Reichs staubigem Kellerbüro brauchte sie nur sieben Minuten – dorthin zu gelangen hatte länger gedauert. Kurz und bündig legte sie ihm die Sache dar. Allein der Verdacht, dass er den Feind unterstützt hatte, reichte aus, damit ihm nicht nur dieser Fall, sondern seine ganze Karriere entglitt. Und wenn er vorzeitig entlassen wurde, stand seine ganze Pension auf dem Spiel. »Das wäre bestimmt schlimm für Dana. Der finanzielle Verlust natürlich, aber auch die Einzelheiten der Affäre – ich kann mir vorstellen, dass sie das ziemlich niederschmettern würde.«
Als sie wieder ihr Büro betrat, sehnte sie sich vor allem nach einem langen Bad, um den Schmutz wegzuwaschen. Oskar deutete ihre Miene als Ausdruck des Scheiterns. »Bitten Sie den Fuhrpark um was Solides«, sagte sie. »Reich wird es absegnen.«
»Wie haben Sie das geschafft?«
Sie brauchte lange, um sich in ihrem Stuhl zurechtzusetzen. »Ich bin in die Kleider von Leuten geschlüpft, die wir hassen.« Einen Moment lang starrte sie auf den Schreibtisch, dann blickte sie zu ihm auf. »Das Dumme ist nur, sie passen ziemlich gut.«
9
Obwohl der zweiunddreißigjährige Oskar Leintz beim Ende der Deutschen Demokratischen Republik erst vierzehn war, würde er sein Leben lang ein Ossi bleiben, der im Westen lebte. Diese Tatsache konnte er nie vergessen, besonders wenn er zu Familientreffen nach Leipzig reiste. Für seine Eltern war München noch immer eine Stadt im Ausland.
Manchmal fragte er sich, ob dieses Verharren zwischen zwei Welten, dieser Außenseiterstatus der Grund war, warum ihn Erika Schwartz 2000 in einem Ausbildungszentrum als persönlichen Assistenten ausgesucht hatte. Auf seine direkte Frage antwortete sie mit einem Scherz: »Sie haben ausgesehen, als könnten Sie schwere Sachen heben, und mehr brauche ich eigentlich nicht. Jemand, der Sachen heben kann.«
Sachen wie dich? , hätte er sich am liebsten erkundigt, aber zu diesem Zeitpunkt war ihm noch nicht klar, was für außerordentliche Fähigkeiten sie besaß. Zwar war ihr Name im Kreis der anderen Studenten erwähnt worden, aber im Grunde waren es nur Gerüchte über eine korpulente, bärbeißige Frau, die mit einem Stapel Akten einen Maulwurf aufstöbern und ihn zum Tripelagenten machen konnte, ohne auch nur einmal ihren Schreibtisch zu verlassen. Es dauerte einige Zeit, bis er die Gerüchte glaubte.
Während der acht Jahre bei ihr hatten ihn immer wieder Zweifel heimgesucht, ob er mit der Übernahme dieser Position möglicherweise Karriereselbstmord begangen hatte. Er wurde sogar einmal darauf angesprochen. Nach dem CIA-Heroinskandal kam Franz Teufel, wahrscheinlich in Wertmüllers Auftrag, auf ihn zu: In Berlin war eine Verbindungsstelle frei geworden – war Oskar vielleicht daran interessiert? Als er ablehnte, erteilte ihm Franz eine orakelhafte Lektion über den Biorhythmus von Beamtenkarrieren. »Sie erreichen ihren Höhepunkt, verlieren die innere Dynamik, und nach einer Weile fallen sie einfach in sich zusammen. Erika Schwartz hat ihre beste Zeit hinter sich, Oskar. Es hat keinen Sinn, als Zeuge beim Zusammenbruch dabei zu sein.«
War es Loyalität – ob nun angemessen oder nicht –, die ihn dazu bewegte, weiter Erika Schwartz’ Faktotum zu spielen?
Vielleicht; aber vor allem neigte Oskar zu der Auffassung, dass er sich für die richtige Seite entschieden hatte und dass Erikas Lager trotz aller gegenteiliger Anzeichen letztlich den Sieg davontragen würde. Was immer das auch bedeutete.
Er meldete sich mit einem grauen Mercedes ab und war um drei auf der Autobahn. Die Fahrt dauerte zwar an die zwölf Stunden, aber ein Flug kam nicht in Frage, wenn sie mit Milo Weaver nach Plan verfahren und sein Schicksal gleichzeitig vor ihren Vorgesetzten verheimlichen wollten. Unterwegs machte er zwei Anrufe. Auf Erikas Vorschlag hin setzte er sich mit Heinrich und Gustav in Leipzig in Verbindung, die er von der BND-Fachhochschule kannte und mit denen er schon bei anderen verdeckten Operationen erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Sie versprachen, sich bei der OMV-Tankstelle an der
E51 mit ihm zu treffen, und als er darauf zurollte, warteten sie bereits mit dicker Jacke, Sonnenbrille und fröhlichem Grinsen.
Im ersten Teil der Reise ging es in fünf Stunden nach Potsdam und ab da nach Osten. Irgendwann nach neun stoppten sie in Frankfurt an der Oder, wo sie schnell ein fertiges Sandwich
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