Last Exit
stieß an den Türrahmen,
als sie mit ihm hineinkletterten. Er sagte: »Langsam, Jungs.« Keiner von beiden antwortete.
Erst als sie sie abnahmen, bemerkte er, dass sie seine Fußgelenke mit Plastikhandschellen gefesselt hatten, die sie nun mit Schweizer Messern aufschnitten, um seine Beine an die Bahre zu binden. Sie schoben ihn in eine sitzende Position und befreiten seine Hände, in die kalt das Blut zurückströmte. Kurz darauf spürte er ein schmerzhaftes Prickeln. Schließlich stießen ihn die Männer wieder nach unten und zurrten mehrere Gurte um Brust und Handgelenke fest.
Die ganze Prozedur dauerte etwa drei Minuten. Dann stieg der Schnurrbart hinten bei ihm ein, und die anderen zwei verschlossen von außen die fensterlosen Türen. Da es nicht viel Platz gab, hockte er sich auf den Boden neben Milo, als der Lieferwagen gestartet wurde und sich in Bewegung setzte. Kurz darauf waren sie wieder auf der Autobahn.
»Wollen Sie mir was erzählen?«, fragte Milo.
»Nein. Und ich hab auch noch eine Spritze in der Tasche für den Fall, dass Sie nicht den Mund halten können.«
11
Als sie um drei Uhr nachmittags ein Klopfen an der Tür hörte, informierte sich Erika gerade über das internationale Sexgewerbe. Nachdem sie beschlossen hatte, wie sie mit Milo Weaver verfahren wollte, beendete sie sofort ihre Recherchen im Büro über ihn, weil alle von ihr aufgerufenen Seiten und Dokumente in der zentralen Datenbank gespeichert wurden. Statt sich aber wieder mit dem Hintergrund zweier iranischer Asylbewerber zu befassen, wie es von ihr erwartet wurde, fühlte sie sich magnetisch angezogen von der Industrie, die Adriana Stanescus Leben in derart verhängnisvolle Bahnen gelenkt hatte.
Es war trostlos. Wenn die sexuelle Versklavung nach wie vor unvermindert anhielt, lag das zum Teil auch daran, dass sie von den meisten Menschen ignoriert wurde, weil sie diese Vorstellung einfach nicht ertragen konnten. Wer sich zu sehr in die Lage von jemandem wie Adriana versetzte, dem drehte sich der Magen um. Gesetzestreue Bürger zogen fassbare Verbrechen wie Mord und Raub der unfassbaren Sklaverei vor. Und das allgemeine Schweigen begünstigte den Erfolg dieses Gewerbes.
So war es fast eine Erleichterung, als sie von Thomas Haas unterbrochen wurde. Der junge Sachbearbeiter aus dem Überwachungszentrum im Kellergeschoss war seit fast einem Jahr in Pullach und einer der wenigen, mit dem sie überhaupt ein Wort wechselte. »Hallo, Thomas.«
Er blieb ernst. »Frau Schwartz, wir haben einen Lieferwagen vor Ihrem Haus entdeckt.«
»Einen Lieferwagen?« Sie gab sich beunruhigt. »Irgendeine Aufschrift?«
»Toledo Elektrik GmbH.«
»Ach so.« Lächelnd legte sie sich die Hand auf die Brust. »Sie haben mir einen Schreck eingejagt. Das ist schon in Ordnung. Ich hab ein Problem mit der Sicherung – sie fliegt mir ständig raus, wenn ich am Abend fernsehe. Ich hab den Toledo-Handwerkern einen Schlüssel gegeben.«
»Möchten Sie, dass jemand nachschaut? Um sicher zu sein.«
»Nein. Ich ruf den Elektriker gleich an.« Sie griff nach ihrem Bürotelefon. »Danke.«
Als er verschwunden war, wählte sie die Nummer eines Wegwerfhandys, das sie am Vorabend gekauft und in ihrem Haus gelassen hatte. Nach dem dritten Klingelton meldete sich Oskar. »Toledo Elektrik.«
»Hier Erika Schwartz. Haben Sie gerade jemanden in meinem Haus?«
»Moment. Schwartz, ja, da steht es.« Er rasselte ihre Adresse herunter.
»Genau.«
»Dauert ungefähr eine Stunde. Die Rechnung schicken wir Ihnen per Mail.«
»Alles klar. Dann ist es also kein großes Problem?«
»Bestimmt nicht, Frau Schwartz. Wir melden uns, falls es irgendwelche Komplikationen geben sollte.«
»Vielen Dank.«
Hinter den geöffneten Hecktüren kam ein einstöckiges Haus mit Holzverschalung zum Vorschein, und als man ihn aus dem Wagen hievte, bemerkte er, dass sie von
schlanken Birken und breiten Ulmen ohne Laub umgeben waren. Durch ihr schwarzes Astgespinst erahnte er andere Anwesen, die ihn stark an amerikanische Wohnanlagen erinnerten. Große, weit zurückgesetzte Gebäude hinter gepflegten Rasenflächen, und schmucke Autos in der Einfahrt. Um das zu erkennen, musste er jedoch sehr genau hinschauen. Das bedeutete umgekehrt, dass jeder zufällige Beobachter nur vier Männer registrieren würde, die aus einem Lieferwagen mit der Aufschrift einer Elektrofirma ausstiegen. Aus der Perspektive dieses Beobachters ging der Mann in der Mitte mit hinter dem Rücken gefalteten
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