Last Exit
der Schaden schon geschehen. Zwei Wochen später beendete Badawi selbst die Affäre mit der Erklärung (die Erika einer abgefangenen E-Mail entnahm), dass ihre Rolle in der Beziehung etwas Infantiles hatte und dass sie sich nicht bis zu ihrem vierzigsten Geburtstag nach einer Vaterfigur sehnen wollte. Es war höchste Zeit für sie, erwachsen zu werden.
Erika erfuhr nie, ob Reich von ihrem Besuch wusste oder (wie sie) ahnte, dass ihr Gespräch mit Badawi die Ägypterin dazu bewogen hatte, die Beziehung zu überdenken. Im Büro war Reich nichts von Animosität anzumerken, als sein Leben nach dem Ende seiner internationalen
Affäre plötzlich wieder schrumpfte. Soweit ihr bekannt, kamen er und seine Frau wunderbar miteinander aus.
Was sie nun vorhatte, fiel ihr nicht leicht, aber angesichts der Situation sah sie sich dazu gezwungen. Die Amerikaner hatten Reich vorgeschlagen, weil sie davon ausgingen, dass er sich eher die Hand abschneiden würde, als seine Pension aufs Spiel zu setzen. Auch in Berlin wusste man das, hatte aber zu viel Angst, um den Vorschlag in Frage zu stellen. Jetzt war es an ihr, mit Dieter Reich zu reden. Er konnte die Ermittlungen in dem Fall weiter leiten – wer die Lorbeeren bekam, war ihr egal –, aber ihre Unterstützung akzeptieren. Falls er sich weigerte …
Die Akte Badawi enthielt alles, was sie brauchte. Wie die meisten hätte sich Reich nie träumen lassen, dass der 11. September 2001 die Welt verändern und viele bis dahin unentschiedene Menschen zu Extremisten machen würde. Eine dieser Bekehrten war Badawi, die wie Erika der Ansicht war, dass sich die Amerikaner in zu viele Dinge einmischten, die sie nichts angingen. In ihrer Ohnmacht kehrte Badawi kurz nach der Invasion des Irak 2003 nach Kairo zurück und schloss sich der Organisation al-Gamaa al-Islamija an, die von der ägyptischen Regierung, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten als Terrorgruppe eingestuft wurde – ihr blinder Anführer Omar Abdel-Rahman saß seit 1993 in einem US-Bundesgefängnis. Es war nicht abzuschätzen, welche deutschen Geheimnisse Reich und Badawi im Bett besprochen hatten, die nun möglicherweise bis zu ägyptischen Ohren vorgedrungen waren.
Als Oskar um eins aus dem Keller wiederkam, hatte sie sich ihren Angriffsplan zurechtgelegt. Er machte hinter sich die Tür zu, und sie bemerkte ein gefaltetes
Blatt in seiner Hand. Außerdem war die Wange unter seinem geschwollenen Auge auffallend rot. »Haben Sie sich wieder mal eine Ohrfeige von einer Sekretärin eingefangen ?«
Oskar stützte sich so fest auf den Schreibtisch, dass die Kante in seine Handflächen schnitt. Das Papier klemmte zwischen zwei Fingern. »Drei Sachen. Erstens: Milo Weaver – oder zumindest sein Pass – war nicht in Europa, als Adriana entführt wurde. Soweit sich das erkennen lässt, hat sein Pass Amerika seit letztem Sommer nicht mehr verlassen.«
Das kam nicht völlig unerwartet, dennoch war es enttäuschend. »Und was ist mit Budapest?«
»Darüber gibt es keine Aufzeichnungen.« Er machte eine wegwerfende Geste mit der freien Hand. Dann grinste er, wie er es immer tat, wenn er Erikas Reserviertheit zu erschüttern hoffte. »Aber das spielt keine Rolle.«
»Ich sehe, dass Sie schon darauf brennen, mich zu überraschen. Also?«
»Zweitens war Milo Weaver in letzter Zeit nicht in Europa. Aber Sebastian Hall – er treibt sich schon seit Monaten hier rum.«
»Wer?«
Er faltete das Blatt auseinander. Die Polizeizeichnung eines Mannes, der verdammt nach Milo Weaver aussah.
»Das ist …«
»Genau. Als Sebastian Hall hat Milo Weaver vor ein paar Wochen das Bührle-Museum ausgeraubt.«
»Das Bührle-Museum? Was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Das Gesicht ist vor einer Viertelstunde auf der Interpol-Fahndungsliste aufgetaucht, als ich gerade unten war. Sebastian Hall, Amerikaner. Anscheinend hat er
den Fehler gemacht, einen Serben in seine Bande aufzunehmen. «
»Keine ausländerfeindlichen Bemerkungen bitte, Oskar. «
»Entschuldigung.« Er lächelte. »Aber vielleicht interessiert Sie auch noch mein dritter Punkt.«
»Bestimmt.«
»Mr. Hall ist erst vor einer Stunde aus London in Warschau eingetroffen. Spätestens in zwei Stunden haben wir sein Hotel und seine Zimmernummer.«
Erika blinzelte ihn an. Oskar hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet, aber er ließ sich zu leicht vom Erfolg blenden. »Sie fahren natürlich hin.«
»Natürlich. Sobald meine Vorgesetzte den Fall wieder übernommen
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