Last Exit
halb aus dem Sessel und schlug Milo mit der großen flachen Pranke auf die Schläfe.
Es fühlte sich an wie ein Holzbrett und ließ den Schmerz wieder aufflammen, der eigentlich schon etwas abgeflaut war. Er wiegte den Kopf in den Händen und konnte nur mit Mühe einen wüsten Fluch unterdrücken. »Was soll das?«
»Nichts weiter.« Der Mann trat hinter Milo. »Ich bin kein Anhänger von Zuckerbrot und Peitsche. So was passt für Maultiere, aber für Menschen? Nein. Viel zu berechenbar, und alles, was berechenbar ist, lässt sich auch manipulieren. Die unberechenbare Peitsche – das ist viel nützlicher, weil man sich nicht darauf einstellen kann.«
Milo hob den Kopf, dessen eine Hälfte heftig pulsierte, und spürte, wie aus seiner mitgenommenen Nase Blut auf die Lippen tropfte. »Ich glaub, ich hab’s verstanden.«
»Gut.« Der Schnurrbart ließ sich unweit von Heinrich auf dem Sofa nieder. Mit einer Fernbedienung schaltete er den Fernseher an der Wand ein. »Meine Chefin, wie Sie es nennen, tut sich ein wenig schwer mit der digitalen Technik. Deswegen haben wir das hier.« Er drückte auf PLAY, und der eingelassene Videorekorder setzte sich surrend in Bewegung. Unscharfe Bilder flackerten über die Mattscheibe, statisches Rauschen folgte, dann Stimmen. Nachrichten. Ein deutscher Sprecher. Das Bild eines Mädchens: Adriana Stanescu. Ein Kameraschwenk über Berge, dann eine Bergstraße, ein Unfallort, ein Waldpfad. Szenenwechsel. Ein anderer Sprecher – ein Spanier – und das Gleiche wieder von vorn. Und mehr: Kindheitsfotos von Adriana
beim Schwimmen mit ihren Eltern, bei einem Geburtstag. Weiter auf Dänisch. Auf Italienisch. Französisch. Moldawisch. Britisch. Deutsch. Amerikanisch. Polnisch.
Es folgten Sprachen, die er nicht einmal identifizieren konnte, Szenen der Mutter, die vor laufender Kamera schreiend zusammenbrach, während ihr erstarrter Mann mit hohlen Augen hinter ihr stand. Zufällig ausgewählte zornige Menschen von der Straße, die ihre Meinung äußerten. Es dauerte über eine Stunde, bis der Bildschirm endlich schwarz wurde. Der Schnurrbart drückte auf STOP, dann auf Rücklauf. Während es laut surrte, sagte er: »Heinrich«, und wieder krachte ein Brett gegen Milos Schläfe.
»Verdammt, Schluss damit!«
Er wollte aufstehen, aber Heinrich stieß ihn nach unten. Der Schnurrbart holte eine Rolle Klebeband und warf sie dem Kleiderschrank zu, der sich sogleich daranmachte, Milo an den Sessel zu schnüren.
Er konnte nichts unternehmen. Alles war vorausgeplant: die harte Hand, das Video, sogar sein Wutausbruch. Diese Leute wussten genau, was sie taten.
Der Videorekorder klickte laut. Dann blickten alle auf, als der Dritte im Bunde die Treppe heruntertrabte, auf dem Arm ein Tablett mit großen, dampfenden Kaffeetassen. Milo fragte sich, warum er so lange gebraucht hatte, dann begriff er. Der Mann hatte gewusst, dass er die Videovorführung nicht unterbrechen durfte.
»Ausgezeichnet!« Der Schnurrbart sprang auf. »Welche Sorte?«
Der Drahtige verteilte die Tassen. »Ich hab eine Tüte gemahlenen Starbucks gefunden. Äthiopisch.«
»Starbucks?« Er wirkte verwirrt. »Na so was. Kennen Sie die Marke, Mr. Weaver?«
»Sehr gut sogar.«
»Köstlich.« Er nippte an seiner Tasse und lehnte sich zurück. »Zu heiß für mich. Heinrich?«
Heinrich hielt zwei Tassen – eine für sich, eine für Milo. »Sehr heiß.« Er schaute den Schnurrbart an und deutete das Schweigen seines Chefs wohl als Befehl. Dann goss er Milo ein wenig von dem dampfenden Kaffee auf die Brust. Es brannte sofort durchs Hemd, aber diesmal schrie er nicht auf, sondern ächzte nur. Nachdem Heinrich die Tasse abgestellt hatte, trank er aus seiner eigenen.
Der Schnurrbart nahm seinen Kaffee mit zur Treppe. »Ich glaube, Mr. Weaver möchte noch ein bisschen fernsehen. «
Mit der Fernbedienung schaltete der Drahtige wieder den Videorekorder ein. Nachrichtensprecher. Adriana. Kahle Bäume.
»Wichtig ist natürlich, dass wir uns jedes Bild auf dem Band merken, nicht wahr? Das wird später alles abgefragt. «
Der Mann mit der Fernbedienung gluckste leise, und Heinrich lächelte. Der Schnurrbart ließ sie allein, während Adrianas Mutter auf dem Monitor hemmungslos schluchzte.
All das konnte ihn eigentlich nicht überraschen. Während er versuchte, Bodenhaftung zu bewahren, kam es den Befragern nur darauf an, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Fünf Minuten lang hatte er das Gefühl, ins Rutschen zu geraten. Dann beging
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