Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
seid!»
Laubmann schaute ihn vollkommen unschuldig an: «Sind Des(s)erteure denn nicht Personen, die Nachspeisen kreieren? Und Sie haben Ihre gar nicht angerührt.» Hüttenberger fuhr hoch, daß Irene Laubmann zusammenzuckte, stürzte zur Zimmertür, ohne sich noch einmal umzudrehen, riß seine Jacke vom Haken und schlug endlich die Wohnungstür von außen zu, gerade als Marlene Dietrich sang, sie sei von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Philipp Laubmann blies die Luft aus seinen Wangen. «Das hab ich kommen sehen, daß unser gemeinsames Essen so abrupt endet. Dabei hat er's nicht mal genügend gewürdigt. – Und ich hatte ein schlechtes Gewissen», grinste er zufrieden.
Irene Laubmann hatte hingegen einen blasseren Teint bekommen: «Der kann ja richtig aufbrausend sein; dabei tut er so harmlos … Und jetzt straft er uns damit, daß wir alles alleine essen müssen.»
Cousin Philipp blickte zugleich stolz und versonnen: «Wie schreibt der barocke Kirchenlieddichter Johannes Heermann so tröstend: ‹ Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe. ›»
IX
‹ Ich kann das alles nicht verstehen›, sagte sich Professor Konrad in Gedanken vor. So hätte er es wahrscheinlich sogar laut formuliert, hätte ihn jemand danach gefragt, was er denn davon hielt, an diesem geschäftigen Vormittag in das Kommissariat «vorgeladen» zu sein; was er dabei empfand, in seinem Schmerz, seiner Trauer, als «Zeuge» oder gar «Verdächtiger» vernommen zu werden. Aber es fragte ihn gar keiner. Von seiner Trauer, seinen Gefühlen nach dem Tod seiner Geliebten wollte niemand etwas wissen – und sollte es auch nicht.
Er sah sich mißmutig im Stadtbus um, während dieser die Fahrgäste über das unebene Kopfsteinpflaster schaukelte. Tiefe Trauer hätte er freilich gar nicht zeigen dürfen, denn Melitta Steinig, seine Haushälterin, die bei ihm im Haus wohnte, hatte ihm angeboten, ihn zum Kommissariat zu begleiten, da sie es als ihre Pflicht ansah, ihm nicht nur in alltäglichen, sondern genauso in außergewöhnlichen Situationen hilfreich zur Seite zu stehen. Schließlich wußte sie, wie empfindlich er auf jede Aufregung reagierte, etwa mit Kreislaufbeschwerden, die bei ihm besorgniserregende Schwächeanfälle verursachen konnten. Deshalb hatte er ja vorsorglich nicht mit dem eigenen Wagen fahren wollen – und sie hatte keinen Führerschein.
Schweigend saßen sie auf einem der Doppelsitze. Sie respektierte es, wenn er in sich gekehrt war. Professor Konrad kapselte sich auch sonst immer wieder ab, wirkte gedankenverloren, vor allem wenn er an Büchern schrieb. Daß Melitta Steinig ihn in Ruhe ließ, war ihm heute besonders recht. Denn er wollte weder ihr noch irgendeinem anderen seine Abgeschiedenheit, seine Verlassenheit zeigen. So wie er es von Anfang an vor ihr wie vor allen anderen verborgen hatte, daß er liebte, daß er eine Beziehung eingegangen war. Und er war sich sicher, daß seine Haushälterin von seinem Verhältnis nichts wußte.
Die Stadtbushaltestelle, an der sie ausstiegen, befand sich direkt vor dem Polizeigebäude. Konrad fiel auf, wie hier alle Dinge perfekt zusammenzupassen schienen, als gäbe es im Leben keine Brüche: die Haltestelle, der Eingang ins Polizeigebäude, das Gebäude selbst – jener mächtige Bau des frühen Historismus, nicht zu überladen und trotzdem nicht zu streng gegliedert, «behördlich» eben.
‹Wer mit einem der Stadtbusse hierher fährt und gar hier arbeitet, dessen Leben verläuft wohlgeordnet, wie aus einem Guß ›, sinnierte Konrad. Gleichzeitig überlegte er, während seine Haushälterin und er nebeneinander in ihren schwarzen, einfach geschnittenen Mänteln auf dem Gehsteig einhergingen, wie sehr sein eigenes Leben aus der Bahn lief. Es hatte sich einmal etwas verändern müssen in seinem Leben.
Sein Elternhaus war so schlecht nicht, wenn auch sehr ordentlich, dennoch nicht übertrieben katholisch. Sein Vater war für eine Nürnberger Firma als Handlungsreisender in Sachen Lebkuchen und Spielwaren unterwegs gewesen. Nicht zuletzt die Diasporasituation in einer stark evangelisch geprägten Umgebung hatte in ihm den Wunsch geweckt, Priester zu werden. Das hatte er für eine konsequente Handlungsweise gehalten, ja durchaus für eine glückliche Fügung. Unglücklich war er nicht gewesen. Aber war er wirklich glücklich in all den Jahren? Glücklicher war er mit Franziska – und jetzt unglücklicher ohne sie. Doch was bedeuteten sein Glück
Weitere Kostenlose Bücher