Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
für Sie freilich keine Verbindung mit dem Unfall», gab Laubmann zu. «Sicher, sehr besinnlich und wohlvorbereitet auf den Tod scheint das Opfer nicht gestorben zu sein. Franziska R. Inzwischen pfeifen's die Spatzen aber von den Dächern, daß sich hinter dem Todesfall ein religiöser Zusammenhang verbirgt, und zwar ein zölibatäres Problem.»
«Eine zölibatäre Verfehlung! Heißt es nicht im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 19, Vers 12: Wer es fassen kann, der fasse es? Doch hier und heute hat einer unserer Priester versagt, gänzlich versagt, und damit gegen Gottes Gesetz verstoßen!»
«Langsam, langsam.» Laubmann machte eine beschwichtigende Geste. «Es liegt mir in der Regel fern, Sie belehren zu wollen, Herr Hüttenberger, aber Matthäus 19,12 stellt die Freiwilligkeit in den Vordergrund und nicht das Gesetz. Die Vollmacht und der Wille Jesu als Sohn Gottes stehen konträr zu äußerlichen Gesetzlichkeiten, die die Menschen einschnüren, und damit konträr zu einer gesetzlich und kirchenrechtlich verstandenen Sichtweise auf den Zölibat, gerade wenn sich diese auf Matthäus 19,12 berufen will.» Hüttenberger winkte energisch ab und hatte Mühe, dem Gastgeber nicht das Wort abzuschneiden: «Sie verkennen, und das offenbar mit Absicht, daß es um ein höheres Bestreben geht. Die sexuelle Enthaltsamkeit will verstanden sein als eine in der Person vorweggenommene Vergegenwärtigung des himmlischen Reiches Gottes!»
«Amen. Dann halt ich's lieber mit dem Wiener Kabarettisten Fritz Grünbaum. Der bekennt in seinem Gedicht über den ‹ Teufel›, daß er gern in die Hölle kommen würde, denn ‹ die Hölle ist reizender als man es glaubt›; der Himmel hingegen ist nur ‹gräßlich fad›, wenn auch ‹riesig solid›. Ich will damit sagen, Ihr Reich Gottes wär mir ebenfalls viel zu langweilig.»
«Bitte, Sie mögen spotten und Ihre ketzerischen Literaten vorführen, solange Sie wollen, es bleibt unbestreitbar eine zölibatäre Verfehlung!»
«Darin kennen Sie sich ja sehr gut aus. Wenn man an Ihre Korrespondenz mit Professor Konrad denkt.» «Die Briefe waren anonym!»
«Heißt das, Sie haben sich jetzt nur versehentlich verraten, oder bekennen Sie sich dazu?»
Hüttenberger bewegte sich so unruhig, daß Irene – verwirrt und neugierig – besorgt war, er könne vom Stuhl rutschen. «Ich frage Sie, ob Sie sich dazu bekennen?» setzte ihm Laubmann zu. «Sie legen doch sonst vorzugsweise Bekenntnisse ab. Das haben Sie allerdings nicht bedacht, daß Ihre bösen Briefe bei einem Mordfall plötzlich eine Rolle spielen. Das wird die Polizei mit Begeisterung zur Kenntnis nehmen.»
Die Cousine blickte erstaunt um sich: «Wieso ein Mordfall?» kam aber nicht zu einer weiteren Nachfrage, weil Hüttenberger keine Rücksicht mehr auf sie nahm. «Also gut, Herr Kollege Laubmann», sagte er verbissen, «ich bekenne mich dazu, und ich bekenne mich mit Genugtuung dazu! Und diesen beiden Versagern ist Recht widerfahren, göttliches Recht. Dieser Konrad mit seinem Haremsweib … das war ein abscheuliches Verhältnis gegen die Ehre Gottes und gegen die Ehre der Kirche! Ich hab ihn nur gewarnt; das war meine Pflicht, nachdem ich ihn in eindeutiger Pose mit seiner Geliebten habe beobachten müssen! Seine Sekretärin kann Ihnen das im übrigen bestätigen.» Hüttenberger atmete heftig.
«Bravo», sagte Kollege Laubmann und hätte fast geklatscht, «ein bemerkenswertes Bekenntnis; oder sollte das ein Geständnis sein?»
«Wollen Sie mich ins Verhör nehmen?»
«Ins Gebet jedenfalls momentan nicht; warum also nicht ins Verhör? Ich weiß mittlerweile mehr über die Angelegenheit, als Sie vermuten.» Laubmann fixierte ihn. Zunächst wollte er Hüttenberger aufs Geratewohl nach dem Rosenkranz fragen, den ihm dieser mitgebracht hatte, denn der glich dem zerrissenen Rosenkranz auffallend, den die Polizei vom Unfallort her kannte. Doch Philipp erinnerte sich an die Abmachung mit Kommissar Glaser, den aufgefundenen Gegenstand zu verschweigen, und verzichtete darauf wie schon bei Konrad. Warum sollte er gerade Hüttenberger ein möglicherweise wichtiges Indiz verraten? Der ergriff erneut das Wort: «Bevor Sie hier Lügen über mich verbreiten, sage ich Ihnen frei heraus, ich wäre nur zu gern am Unfallort gewesen; statt dessen hab ich in einer Sühneandacht gebetet, die ganze Nacht hindurch, auf den Knien, um für räudige Kirchen-Deserteure wie diesen sogenannten Priester und Professor zu büßen … ach, und wie Ihr alle
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