Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Fabrik des Großvaters zu leiten. Sie hat die Schule im Vorderen Bach leider vorzeitig verlassen und einige Jahre vertrödelt, doch dann das Abitur anderweitig nachgeholt. Daß wir Bach-Gänse waren, haben Sie ja bereits vernommen.»
Eine wahre Flut an Informationen, meinte Laubmann etwas übertrieben und dankte der «lieben Elisabeth» dafür. Beim E-Mailen mit ihr sei die Zeit wie im Flug vergangen, aber dummerweise rufe sein Dienst in der Universität. Da es bei ihr zwölf Stunden später sei, wünsche er ihr einen schönen Abend. «Bei allernächster Gelegenheit sollten wir uns weiter unterhalten. Ich freue mich darauf und habe noch eine Menge Fragen.»
XI
In den kleinen Dingen stecken die wahren Geheimnisse, das wußte Lürmann schon immer. In dieser Erkenntnis fühlte er sich so manches Mal eins mit keinen Geringeren als Auguste Dupin und Sherlock Holmes, wenn er seiner Arbeit einen nostalgisch verklärten Nimbus verleihen wollte. Dies schien ihm nicht abwegig zu sein, obwohl sich Dr. Laubmann mal darüber lustig gemacht hatte. Zumindest war es ihm so vorgekommen. Dabei waren doch die Gedankengänge Laubmanns selbst häufig auch nur ein intellektuelles Spiel und seine detektivischen Bemühungen höchstens eine Parodie auf Sherlock Holmes. Und die gab es bereits in den Kurzgeschichten Maurice Leblancs, der kurzerhand aus Sherlock Holmes Herlock Sholmes hatte werden lassen. Darin wußte Lürmann besser Bescheid. Insofern freilich paßte Laubmann dazu, weil er oft genug eine komische Figur abgab und Verwirrung stiftete. Und Philipp Laubmann war ihm gerade deswegen nicht unsympathisch, auch wenn ihm der Rosenkranz-Vortrag im Kommissariat eher als eine Konfusion im Gedächtnis geblieben war. Auf den Spuren des am Tatort entdeckten Rosenkranzes begab sich Ernst Lürmann, in Absprache mit Glaser, zur Devotionalienhandlung. Das Geschäft befand sich im ältesten Kern der mittelalterlichen Universitätsstadt, nahe beim Alten Markt. Es war ein Fachwerkhaus, das der Barockisierung entgangen war. Unten waren später Bogenschaufenster eingesetzt worden, deren Auslagen von Kerzen, Heiligenfiguren, Spitzentüchlein, Kreuzen und Kreuzchen, Bändern, Gebetbüchern und Honiggläsern überbordeten. Doch der prangende Kitsch störte Lürmann keineswegs, sondern weckte bei ihm wie bei den meisten Kunden kindliche Erinnerungen. Als er in die wachsduftende Religiositäten-Krämerei eintrat, kam ihm der Bimmelklang der Ladentür wie das Glöckchen am Weihnachtsabend vor. Lürmann äußerte sich, kaum eingetreten, begeistert über die vielen wunderbaren Sachen und beteuerte, daß er in Zukunft öfter vorbeikommen müsse. Die Verkäuferin hinter dem traditionellen Ladentisch, etwas füllig, mit hellbraunen Haaren, gemütlich und alterslos, verstand das nur zu gut. Das Lob gefiel ihr.
Um seiner dienstlichen Pflicht zu genügen, zeigte Lürmann seinen Ausweis. «Ich hab in einem Fall zu ermitteln, bei dem es um solche kirchlichen Gegenstände geht. Leider.» «Bei uns wurde in letzter Zeit aber nichts gestohlen», sagte die Verkäuferin ein wenig verstimmt und rückte einige Schälchen mit verpackten und unverpackten Spezereien, darunter auch Marzipan, zurecht.
«Nein, ich möchte ja nur etwas wissen von Ihnen, weil Sie eben die Fachhändlerin sind, für solche Sachen, meine ich.» Damit schien sie zufrieden.
Lürmann war freilich mit seinen Augen schon wieder woanders, bei einer außergewöhnlich großen und stabilen Hochzeitskerze nämlich, die der ganzen «Orgelpfeifen»Ansammlung der Kerzen in allen Größen und Formen die Krone aufsetzte. Dann holte er den auseinandergerissenen Rosenkranz vom Tatort aus seiner Jackentasche und zeigte ihn der Verkäuferin. Von Glaser war er unterrichtet worden, daß Laubmann genau so ein Exemplar von Hüttenberger geschenkt bekommen hatte.
«Kennen Sie diese Art von Rosenkränzen? – Können Sie mir vielleicht sogar sagen, ob Sie diesen Rosenkranz verkauft haben und wer ihn gekauft hat?» fragte Lürmann nach, da die Verkäuferin sehr viel Zeit brauchte, um das Corpus delicti genau zu fixieren.
Dann ging sie einfach wortlos ein paar Schritte zur Seite, zog eine verglaste Schublade aus der Verkaufstheke und stellte sie auf den Ladentisch. «Schauen Sie her, so eine Menge haben wir von diesem billigen Allerweltsmodell! Ihren könnte man reparieren, aber das dürfte sich nicht lohnen.» Einige Dutzend sehr ähnlich aussehende Stücke waren dekorativ auf einer grünen Filzunterlage plaziert.
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