Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
getan!»
«Das ist ja hochinteressant», entfuhr es Lürmann, obwohl er so tun wollte, als sei das für ihn nicht von Bedeutung. Eifrig schrieb er alles Nötige auf.
«Schauen Sie, das habe ich mir gedacht, daß Sie das interessiert!» Die Verkäuferin triumphierte. «Jetzt erzähl ich Ihnen noch etwas: Er hat behauptet, er hätte das erste Exemplar von dem teuren Rosenkranz einer ‹ Freundin geliehen ›» – wobei ihre Stimme anbiedernd zwischen imaginären Anführungsstrichen hin und her schwang. «Er hat viel von dieser Freundin erzählt, das wollt ich alles gar nicht wissen. Da hat er wieder so betulich religiös getan und behauptet, die Freundin hätte genau so einen Rosenkranz gehabt, ihn aber verloren oder verlegt. Außerdem sei er geweiht gewesen.»
«Geweiht?» Jetzt wünschte sich Lürmann, er könnte Dr. Laubmann fragen, was es damit auf sich hatte.
«Man kann einen Rosenkranz natürlich weihen lassen, wie auch die Eheringe oder eine Kerze. Für die Freundin muß der Rosenkranz ein wertvolles Geschenk gewesen sein. Deswegen hat sie sich ja von Herrn Hüttenberger den gleichen aus seiner Sammlung leihen wollen, um den Verlust zu ersetzen.»
«Kann es sein, daß dieser Herr Hüttenberger nicht geglaubt hat, daß er den Rosenkranz wieder zurückbekommt, daß er also deshalb den gleichen nachgekauft hat?»
«Der kann es doch keine Minute aushalten, wenn ein Stück aus seiner Sammlung fehlt!» Die Verkäuferin winkte entschieden ab.
«Merkwürdig.» Lürmann nahm sich vor, sich alles bald richtig zusammenzureimen und in aller Ruhe seine Notizen durchzugehen, um sie gegebenenfalls mit den Protokollen zu vergleichen. Hier hatte er nichts mehr zu tun – außer Marzipan zu kaufen. Als ein anderer Kunde das Türgeläut in Gang setzte, ergriff er die Gelegenheit, um sich zu verabschieden und die Devotionalienhandlung zu verlassen, voll von Düften und mit neuen Hinweisen. Den Namen der Verkäuferin, Eva Weißhaupt, erfuhr er erst auf eine telefonische Rückfrage hin, auch daß sie die Geschäftsinhaberin war. Für die Akte.
XII
Professor Dr. Raimund Hanauer, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie und vormals «Doktorvater» von Philipp Laubmann, außerdem weiterhin sein Chef, kam mit seiner Vorlesung am Katheder gerade zum Ende. Nach einigen trockenen Ausführungen über den theologischen Ansatz Thomas von Aquins im Hinblick auf die Moral sprach er nun über den «modernen Bezug», wie er es manchmal nannte. Und dieser moderne Bezug geriet auch bei ihm bisweilen kirchenpolitisch brisant.Wenn also vorher ab und zu Getuschel im Hörsaal zu vernehmen war oder der eine oder andere Student den Raum vorzeitig verließ, dann war Hanauer jetzt, am Ende der Lehrveranstaltung, vollkommene Aufmerksamkeit gewiß; war es doch zu erwarten, daß zumindest verklausuliert einige Bemerkungen auftauchten, mit denen Professor Hanauer, selbst Priester und Vertreter der Kirche, die Konfrontation mit der Institution riskierte. Seine Studenten warteten förmlich auf die Schlußbemerkungen, um zu sehen, wie sich ihr Dozent heute wieder zwischen den Anforderungen der Institution Kirche und der theologischen Wissenschaft geschickt hindurchschlängeln würde.
Professor Hanauer lehrte im großen Hörsaal, weil alle Theologiestudenten, egal welche Prüfung sie am Ende ablegen wollten, diese Vorlesung besuchen mußten. Aber nicht allein aus dem Grund waren wieder sehr viele Hörer gekommen. Hanauer war eben beliebt bei den Studentinnen und Studenten, und das nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Kompetenz, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit. Und sah es nicht einfach edel aus, wenn an dem hoch aufragenden sehr schlanken Mann von 52 der bewußt ganz dunkel gehaltene Anzug, ohne jeglichen modischen Anklang, fast eine Spur zu streng wirkte? Das scharf geschnittene Gesicht mit dem etwas nach vorne stehenden Kinn und den sich mehr als andeutenden Falten, sein betont aufrechter Gang sowie sein leicht distanzierter Blick ließen ihn ebenso geistreich wie geistlich aussehen. Eine hübsche Studentin hatte nach dem Ende der Vorlesung eine Nachfrage bezüglich der von Professor Hanauer erwähnten «Königsteiner Erklärung» der Deutschen Bischofskonferenz, in der laut Hanauers heutigem Vortrag die Rolle des Gewissens bei moralischen Fragen betont worden war. Hanauer beantwortete die Frage mit zwei präzisen Sätzen und gab einen Hinweis auf einen Artikel, wo sie mehr darüber finden würde.
Er überlegte sich oft, inwieweit die
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