Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
studierten Ethnologin auszutauschen, der er auf ihrem Gebiet nicht das Wasser reichen konnte. Er wußte zudem nicht so recht, wie er beginnen sollte, da er ja durchaus im Hinblick auf Franziska Ruhland indiskrete Fragen stellen mußte.Almut Werner, die Cousine, hatte ihm inzwischen telefonisch bestätigt, daß «Lisa» seine E-Mails erwarten würde.
Er fing seine E-Mail nicht sofort mit Fragen nach Franziska Ruhland an, obgleich er Elisabeth Werner kurz erklärte, was ihn bewog, sich mit dem Todesfall zu beschäftigen. Er erzählte ihr zunächst von sich, seinem Werdegang, wo sein theologischer Schwerpunkt liege, wie sehr er eine kritische Wissenschaft schätze und wo er wohne, da ihr Bamberg als alte Heimat ja sehr vertraut wäre. Vor allem interessiere ihn, womit sie sich wissenschaftlich konkret beschäftige und ob Verbindungslinien zwischen seiner Theologie und ihrer Ethnologie existierten.
Laubmann hatte der Unbekannten in Neuseeland gleich in derselben Nacht die Nachricht geschickt. Und noch ehe er am nächsten Morgen zur Universität aufbrach, sogar noch bevor er sich anzog und frühstückte, hatte er, als er seine Mailbox öffnete, schon eine Antwort von ihr auf dem Bildschirm. Es war erst kurz nach 7 Uhr, also furchtbar früh für ihn; für sie jedoch war es Abend. Elisabeth bot ihm gleich eingangs an, sie mit dem Vornamen anzusprechen, denn sie freue sich immer, mit jemandem aus Bamberg zu korrespondieren. Sie erlaube sich auch, ihn Philipp zu nennen. «Ja natürlich!» sagte Laubmann begeistert und zum Bildschirm gewandt, gab ihr später aber seine Zustimmung schriftlich.
«Ich habe mich als Ethnologin», schrieb Elisabeth weiter, «unter anderem auf religionswissenschaftliche Fragenkreise spezialisiert, was Sie, lieber Philipp, sicher ansprechen wird. Das wäre bereits die Verbindung zur Theologie, nach der Sie mich gefragt haben. Im weitesten Sinne geht es unserer Forschungsgruppe um Erkenntnisse über die soziale Struktur der frühen Urbevölkerung und damit um die Besiedlungsgeschichte Neuseelands durch die Maori, die nur in Legenden überliefert ist. Mein Hauptaugenmerk richtet sich auf die Bedeutung des menschengeborenen göttlichen Ziehsohns Maui, besonders im Zusammenhang mit anderen polynesischen Kulturen. Ich lebe auf der Nordinsel Neuseelands, weil sich hauptsächlich von hier aus die Maori-Kultur verbreitet hat.» Aber Wissenschaft sei nicht alles, meinte Elisabeth. «Davon ein andermal mehr.» Über Franziska zu sprechen, sei zunächst wohl wichtiger, auch für sie. Vielleicht könne er ihr genauer schildern, was passiert sei. Darin stimme er ihr zu, daß Wissenschaft nicht alles bedeute, antwortete Philipp, aber sie würde ihm oft Halt bieten. Zu Franziska Ruhlands Tod berichtete Philipp, was er bisher erfahren hatte, beschrieb ihr den Ort des Unglücks, der Elisabeth nicht unbekannt war. Laubmann schloß freilich einen Unfall mit höchster Wahrscheinlichkeit aus, sah vielmehr eine Fremdeinwirkung als beinahe gesichert an, konnte aber auch Selbstmord nicht hundertprozentig ausschließen. «Wie schätzen Sie die Selbstmordthese ein?»
Nein, hieß es postwendend, es sei denn, Franziska hätte sich plötzlich sehr verändert. Elisabeth Werner war davon überzeugt, daß ihre Freundin sich nicht umgebracht hat. «Da müßte ich mich sehr in ihr getäuscht haben. Dazu war sie viel zu lebenslustig. Depressive Anwandlungen hatte sie nie. Wenn sie etwas haben wollte und sie konnte es nicht gleich erreichen, dann hat sie gekämpft. Ich habe sie zwar lange Zeit nicht gesehen – bei meinen letzten Deutschlandaufenthalten war keine Gelegenheit dazu –, aber wir standen regelmäßig in Kontakt, telefonisch, brieflich, durch E-Mails. Ich hätte was gemerkt.»
Sicher, Franziska sei verwöhnt gewesen, «und die Geschichte mit Konrad, die mehr war als eine Affäre, hat nicht auf Anhieb geklappt. Aber sie war unabhängig genug, auch in Gefühlsdingen; sie hatte ihren Beruf als Übersetzerin und genügend Geld. Als Fabrikantentochter und stille Teilhaberin war ihr je nach Auftragslage eine in der Höhe schwankende Rendite gewiß. Sie hatte nie nennenswerte Probleme mit ihren Eltern, die beide schon seit Jahren tot sind. Ihr Vater hat den Tod seiner Frau nicht verwunden und ist einfach verwelkt. Franziska war das einzige Kind. Eine Spätgeborene. Ihre Eltern sind so um 1950 aus Hannover nach Bamberg gezogen und etwa mit dem Ende der Schulzeit Franziskas wieder dorthin zurückgegangen, um die chemische
Weitere Kostenlose Bücher