Lauf des Lebens
bekommen.“
Er atmete einmal tief durch und leerte das Milchglas.
Alberta brachte den Kaffee. Das restliche Frühstück verlief relativ friedlich. Angela Quincy, Albertas Stieftochter, kam und beseitigte das Chaos, das der Hausherr mit seinem Frühstückstablett angerichtet hatte. Blake selbst sah etwas betreten zu.
Angela sah auf ihre Weise ähnlich geheimnisvoll aus wie Alberta. Anders als ihrer Mutter sah man Angela ihr Alter an. Sie war ungefähr fünfzig und ebenso weich und knuddelig, wie Alberta hager und knochig war. Trotz ihrer Falten war sie sehr hübsch, richtiggehend schön. Und sie war die heiterste, gelassenste Person, die Dione jemals gesehen hatte. Sie hatte braune Haare, durchsetzt von ein paar grauen Strähnen, und weiche, braune Augen. Wie Dione später erfuhr, war sie einmal verlobt gewesen, doch der Mann war gestorben, und Angela trug den Verlobungsring, den sie vor Jahren erhalten hatte, immer noch.
Es störte Angela nicht im Geringsten, die Eier von der Wand abzuwischen. Blake hingegen wurde immer unruhiger, während sie putzte. Gemächlich beendete Dione ihr Frühstück und legte schließlich ihre Serviette beiseite.
„Zeit für weitere Übungen“, verkündete sie.
„Nein!“, donnerte er. „Für heute habe ich genug! Ich kann Sie nur in kleinen Dosierungen vertragen, Miss Kelley!“
„Nennen Sie mich doch bitte Dione“, murmelte sie.
„Ich möchte Sie gar nicht nennen! Ich möchte, dass Sie mich in Ruhe lassen!“
„Das tue ich, aber erst, wenn ich meinen Job hier beendet habe. Schließlich will ich mir durch Sie meine berufliche Erfolgsbilanz nicht verderben lassen.“
„Wissen Sie, was Sie mit Ihrer Erfolgsbilanz machen können?“, schnaubte er und setzte seinen Rollstuhl ruckartig zurück, um gleich darauf hektisch den Vorwärtsschalter zu drücken. „Ich möchte Ihr Gesicht hier nie wieder sehen!“, schrie er und steuerte den Rollstuhl aus dem Raum.
Dione seufzte und zuckte hilflos mit den Achseln, als ihre Augen Angelas gelassenem Blick begegneten. Angela lächelte, sagte aber nichts. Alberta war schon nicht sonderlich gesprächig, aber Angela offensichtlich noch weniger. Dione stellte sich das ohrenbetäubende Schweigen vor, das eintreten musste, wenn die beiden zusammen waren.
Als sie glaubte, Blake genug Zeit gelassen zu haben, um über seinen Wutanfall hinwegzukommen, stieg sie die Treppe hinauf, um im Programm fortzufahren. Da es sicher reine Zeitverschwendung war, an seiner Tür zu klopfen, ging sie durch ihr eigenes Zimmer direkt auf die Galerie. Sie klopfte an seine gläserne Balkontür, schob sie auf und trat ein.
Grübelnd blickte Blake ihr von seinem Stuhl aus entgegen. Dione ging zu ihm und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. „Ich weiß, dass es schwierig ist“, sagte sie weich. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es leichter wird. Versuchen Sie, mir zu vertrauen. Ich verstehe etwas von meinem Beruf, und schlimmstenfalls wird es Ihnen am Ende gesundheitlich immer noch um einiges besser gehen als jetzt.“
„Wenn ich nicht laufen kann, was schert mich dann meine Gesundheit?“, fragte er schroff. „Glauben Sie, dass ich so leben möchte? Hätte ich die Wahl gehabt, wäre ich lieber direkt auf dem Berg gestorben, als die vergangenen zwei Jahre durchmachen zu müssen.“
„Haben Sie schon immer so schnell aufgegeben?“
„So schnell!“ Er warf seinen Kopf herum. „Sie haben ja keine Ahnung! Sie wissen überhaupt nicht, was es heißt …“
„Aber ich kann Ihnen sagen, was es nicht heißt“, fiel sie ihm ins Wort. „Ich kann Ihnen sagen, dass Sie niemals nach unten geschaut und statt Ihrer zwei Beine nur ein platt auf dem Bett liegendes Laken gesehen haben. Dass Sie nie versuchen mussten, mit einem Stift zwischen den Zähnen die Tasten eines Computers zu bedienen, weil Sie vom Hals abwärts gelähmt sind. Ich kenne eine Menge Leute, die viel schlimmer dran sind als Sie. Si e werden wieder laufen können, dafür werde ich sorgen.“
„Es interessiert mich nicht, dass andere Leute schlimmer dran sind! Die sind nicht ich ! Mein Leben gehört mir, und ich lege fest, welche Ansprüche ich an mein Leben stelle und was ich nicht akzeptieren kann … akzeptieren werde .“
„Arbeit? Anstrengung? Schmerz?“, fragte sie provozierend. „Mr. Remington, Richard hat mir so einiges über Sie erzählt. Sie haben immer auf der Überholspur gelebt, haben nichts ausgelassen. Wenn nur die kleinste Chance bestünde, dass Sie all das wieder tun
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