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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Verrat erst später erfahren hatte. Entweder hatte Daniel gebeichtet, um sein Gewissen zu erleichtern, oder ein anderer hatte ihr davon erzählt. Und wer?
    Jane wußte die Antwort. Sie brauchte den Namen nicht einmal zu denken. Carole hatte ihr gesagt, daß Michael von dem Verhältnis wußte; daß er Carole gebeten hatte, mit Jane nicht darüber zu sprechen, solange sie nicht wieder ganz gesund war. Es sprach alles dafür, daß Michael derjenige gewesen war, der Carole von der Sache erzählt hatte.
    Jane kämpfte sich durch die Nebelschwaden, die ihren Kopf umhüllten, um sich ins Gedächtnis zu rufen, wann das gewesen sein konnte. Hatte sie nicht Michael und Carole eines Morgens zusammen gesehen? Hatte sie nicht vom Fenster aus beobachtet, wie sie in Caroles Vorgarten miteinander geflüstert hatten? Stöhnend wälzte sich Jane auf die Seite und rollte sich gleich wieder auf den Rücken, als ihr Arm zu schmerzen begann. Welchen
Grund sollte Michael haben, Carole etwas zu erzählen, das so zerstörerisch wirken mußte?
    Vielleicht war er es einfach leid gewesen, die ganze Bürde allein zu tragen. Vielleicht hatte er einen Menschen gebraucht, dem er sich anvertrauen konnte. Vielleicht aber hatte er auch einen Keil zwischen die beiden Frauen treiben wollen. Vielleicht war es seine Absicht, sie zu entzweien. Aber warum? Wußte Carole vielleicht etwas, von dem Michael nicht wollte, daß sie es erfuhr?
    Eines stand fest: Wenn Michael Carole wirklich von der angeblichen Affäre zwischen Jane und Daniel erzählt hatte, so gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sagte er die Wahrheit, oder er log.
    Jane starrte auf die Chagall-Lithographien an der Wand und sah, wie sie plötzlich lebendig wurden und ihr entgegentanzten. Die schwebenden Fiedler richteten sich plötzlich auf, die Brautleute wiegten sich zu einer Musik, die nur sie hören konnte. Es gab noch eine andere Möglichkeit: Daß Michael und Paula und Carole Teil eines größeren Plans waren, daß sie alle gemeinsame Sache machten. Na wunderbar, eine Verschwörung, dachte Jane und kam sich dumm und melodramatisch vor.
    Die Wahrheit war ohne Zweifel viel einfacher: Sie war total verrückt.
    Die Innenseite ihres linken Arms begann zu puckern, und sie suchte mit den Augen die Quelle des Schmerzes. Die Haut in der Ellenbogenbeuge war violett verfärbt. Mit den Fingern zog sie vorsichtige Kreise um das blutunterlaufene Gebiet, aber selbst diese behutsame Berührung schmerzte. Sie hob den Arm näher zu ihren Augen und erinnerte sich an den Einstich der Nadel, erinnerte sich, wie Paula ihren Arm ausgestreckt gehalten hatte, während Michael ihr das Beruhigungsmittel injizierte. Wie oft hatte er sie seitdem gespritzt? Wie viele Tage waren vergangen? Wie lange hatten sie sie betäubt gehalten?

    Mühsam stand sie auf, kämpfte den Brechreiz nieder, hielt sich am Bettpfosten fest und schleppte sich zur Tür. Aus der Küche schallte Paulas Stimme zu ihr herauf. Sprach sie mit Michael? Jane lauschte angestrengt, aber sie konnte nur Paulas Stimme hören. Wahrscheinlich war sie am Telefon. Es sei denn, sie hielt Selbstgespräche. Jane hätte beinahe gelacht. Vielleicht war es dieses Haus, das sie alle in den Wahnsinn trieb. Vielleicht war es nicht ordnungsgemäß isoliert worden, und jetzt machten giftige Asbestdünste sie alle verrückt.
    An das Geländer geklammert, die Wärme der Sonne im Nakken, die durch das Oberlicht hereinschien, kroch Jane weiter zu Michaels Arbeitszimmer. Nur flüchtig fragte sie sich, was ihr einfiel, als sie sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch sinken ließ, vorsichtig den Telefonhörer abhob und langsam an ihr Ohr führte.
    »... diese Alpträume doch jetzt schon seit ein paar Wochen«, hörte sie Paula sagen. »Was? Willst du etwa behaupten, ich hätte als Kind nie böse Träume gehabt?«
    Die Frau am anderen Ende der Leitung sagte etwas auf italienisch.
    Das nachfolgende Schweigen war voller Feindseligkeit. Dann sagte Paula bitter: »Okay, ich weiß schon, du warst die perfekte Mutter, und ich bin es nicht. Aber ich kann’s mir eben nicht leisten, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und mich um sie zu kümmern. Früher oder später hören diese Träume sicher auf. Mama, sie ist ein Kind! Alle Kinder haben ab und zu böse Träume.«
    Wieder Italienisch.
    »Mama, tu, was du für richtig hältst, okay? Wenn du sie ein paar Stunden hinlegen willst, dann tu das. - Na und? Dann schläft sie eben abends nicht. Aber dann hat sie wenigstens auch keine

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