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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bruders, die Adresse darunter. »Ich kann nicht erkennen...«
    »Ich kann Sie nicht verstehen.«
    »Montgomery Street!« rief sie lauter als beabsichtigt. »Ich glaube, es ist der in der Montgomery Street.«
    Aber schon hatte der Automat die Telefonistin abgelöst. Jane schrieb die Nummer nieder, ohne die offene Tür aus den Augen zu lassen. Von unten hörte sie gedämpftes Lachen. Ja, lacht nur, drängte sie. Lacht weiter, damit ich euch hören kann.
    Sie tippte die Nummer, merkte, daß sie die Vorwahl vergessen hatte und mußte von vorn anfangen. Sie hätte ihren Kopf so gern einen Moment auf den Schreibtisch gelegt. Nur ein paar Sekunden Schlaf, mehr brauchte sie nicht. Sie ließ den Kopf zur Tischplatte hinuntersinken. Erst als sie ihr Gesicht im Bildschirm des Computers gespiegelt sah, hielt sie inne.
    Die Frau, die sie mit halb geschlossenen Augen anstarrte, sah kaum menschlich aus. Ihr Gesicht war grau und verzerrt. War das dieselbe Frau, deren Gesicht sie zum ersten Mal im gesprungenen Spiegel in der Toilette des kleinen Ladens in der Charles Street gesehen hatte? Die Frau, die der Ladeninhaber als >hübsch< bezeichnet hatte? Mein Gott, was tun sie mit mir? fragte sie sich und richtete sich mit Mühe wieder auf.
    Irgendwo läutete ein Telefon, jemand sagte »hallo«.
    »Hallo«, erwiderte Jane, den Mund mit der Hand bedeckt. »Hallo? Wer ist da?«
    »Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind«, erwiderte eine Frau. »Schließlich haben Sie ja angerufen.«
    »Jane.«
    »Wer? Ich kann Sie kaum hören.«
    »Jane«, wiederholte Jane lauter.
    »Jane? Tommys Schwester?«
    »Ja.« Sie begann zu weinen.
    »Ich hab deine Stimme gar nicht erkannt. Bist du erkältet?«

    »Mir geht’s nicht besonders gut«, begann Jane. Diese Frau mußte Tommys Frau Eleanor sein.
    »Du hörst dich schrecklich an. Was ist es? Die Grippe?«
    »Nein. Irgend so ein mysteriöser Virus«, antwortete Jane mit sinkendem Mut. »Wie geht’s euch denn so?«
    »Ach, wie immer. Jeremy hat gerade eine Erkältung hinter sich, und Lance läuft dauernd mit einer Rotznase herum, und dein Bruder jammert über seinen Rücken, und ich dreh mich im Kreis, weil ich nicht weiß, was ich alles packen soll...«
    »Ihr verreist?«
    »Nach Spanien, du weißt doch. Ich kann’s kaum fassen. Daß du das vergessen hast! Wir planen diesen Urlaub doch seit Jahren. Ich dachte, du rufst an, um uns gute Reise zu wünschen.«
    »Eleanor, ich muß meinen Bruder sprechen.« Jane fragte sich, ob ihre Stimme wirklich so laut war, wie es ihr vorkam.
    »Eleanor? Du weißt doch, daß mir Ellie lieber ist. Und dein Bruder ist im Büro. Er kommt frühestens in einer Stunde.«
    Jane sah auf die Uhr auf Michaels Schreibtisch. Es war fast sieben. »Macht er Überstunden?«
    »Es ist erst vier, Jane. Hast du den Zeitunterschied vergessen?«
    Jane kämpfte mit plötzlichem Brechreiz, schluckte krampfhaft, sprach klar und deutlich ins Telefon. »Eleanor - Ellie, du mußt mir die Wahrheit sagen.«
    »Die Wahrheit? Ja, glaubst du denn, ich lüge, wenn ich sage, daß dein Bruder noch im Büro ist?«
    »Hast du in letzter Zeit einmal mit Michael gesprochen?«
    »Michael? Nein, ich...«
    »Und Tommy?«
    »Ich glaube nicht. Wenigstens hat er mir nichts davon erzählt.«
    »Er hat nichts davon gesagt, daß Michael angerufen und gefragt hat, ob ich bei euch bin?«

    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil er das der Polizei erzählt hat.«
    »Wer hat was der Polizei erzählt? Jane, was redest du da eigentlich?«
    Jane klopfte das Herz bis zum Hals, so daß sie kaum sprechen konnte. Sie glaubte, Stimmen zu hören, Schritte auf der Treppe, aber als sie zur Tür blickte, sah sie nichts.
    »Bitte höre mir zu, Eleanor - Ellie. Ellie, du mußt mir genau zuhören.«
    »Ich hör dir ja zu.«
    Ihr schwamm der Kopf. Ihre Gedanken rasten. Sie hörte die Stimmen näherkommen, dann nichts mehr. Sie fixierte die Tür. Immer noch nichts. Sie hatte so viel zu sagen, so wenig Zeit, es zu sagen. »Mir ist etwas passiert.«
    »Was? Was ist dir passiert?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht erklären. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«
    »Jane, ich verstehe kein Wort.«
    »Bitte hör mir einfach zu. Unterbrich mich nicht. Ich habe große Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Sie geben mir dauernd Medikamente...«
    »Was? Wer gibt dir Medikamente?«
    »Michael und Paula.«
    »Wer ist Paula?«
    »Sie sollten mir eigentlich helfen; damit ich mich erinnern kann. Aber sie machen mich nur immer

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