Lauf, Jane, Lauf!
spreche sie mit einem Kind. »Es ist doch nur zu Ihrem Besten.«
»Warum tun Sie das?« jammerte Jane, entschlossen, nicht einzuschlafen.
»Sie brauchen Ruhe, Jane«, hörte sie Paula sagen, und die Stimme schien sich immer weiter zu entfernen, obwohl Paula am Bett blieb.
»Aber ich will keine Ruhe«, entgegnete Jane, fühlte, wie ihr die Augen zufielen, und war nicht sicher, ob sie überhaupt etwas gesagt hatte.
Das Klirren splitternden Porzellans weckte sie.
»Ach, das tut mir leid, Dr. Whittaker. Entschuldigen Sie. Ich werde ihn selbstverständlich ersetzen.«
»Machen Sie sich nichts daraus. Es ist ja nur ein Teller. Sie haben sich doch nicht geschnitten?«
»Nein, nein. Warten Sie, ich kehr die Scherben zusammen.«
Jane quälte sich aus dem Bett und tappte schwankend, mit der Übelkeit kämpfend zur Treppe. Mit angehaltenem Atem lauschte sie dem Gespräch von unten und bemühte sich, es zu begreifen.
»Ich weiß gar nicht, was heute mit mir los ist. Alles fällt mir aus der Hand. Wahrscheinlich bin ich einfach müde.«
»Ich weiß, Sie haben es nicht leicht mit meiner Frau.«
»Ach, das ist es nicht.«
Jane sah förmlich Michaels teilnahmsvolles Gesicht vor sich.
»Aber ich komme zu Hause kaum zur Ruhe. Wenn mich nicht Christine mit ihren Alpträumen auf Trab hält, ist es meine Mutter mit ihrem Geschimpfe.«
»Möchten Sie darüber sprechen?«
»Ach, Sie haben doch selbst Probleme genug. Da will ich Ihnen mit meinen Wehwehchen nicht auch noch zur Last fallen.«
»Jetzt lassen Sie das Geschirr mal einen Moment stehen, und sprechen Sie sich aus«, schlug Michael vor, und Jane stellte sich vor, wie er einen Küchenstuhl für Paula herauszog und diese sich gehorsam setzte.
Jane konnte dem Verlangen, sich auf dem Teppich hinzulegen und weiterzuschlafen, kaum noch wiederstehen. Aber sie konnte es nicht riskieren, sich hinzulegen, nicht einmal für eine Minute. Sie mußte zum Telefon. Sie mußte ihren Bruder in San Diego anrufen. Sie mußte es jetzt tun, während Michael sich mit Paulas Problemen beschäftigte. Ehe es Zeit für die nächste Spritze war.
Lautlos zog sie sich am Geländer entlang zu Michaels Arbeitszimmer. An der Tür blieb sie einen Moment stehen und überlegte, ob es klüger war, die Tür zu schließen oder offenzulassen. Wenn sie sie schloß, war das Risiko, gehört zu werden, geringer, Dafür war das Risiko größer, daß sie die beiden nicht hören würde, falls sie heraufkommen sollten. Sie beschloß, die Tür offenzulassen.
Sobald sie am Schreibtisch saß, griff sie zum Telefon. Jedes Geräusch erschien ihr tausendfach verstärkt. Sie drückte den Hörer ans Ohr und zuckte beim Schrillen des Amtszeichens zusammen wie unter einer Explosion. Ganz bestimmt hörte man das unten. Sie preßte den Hörer an die Brust und wartete auf das Geräusch von Schritten auf der Treppe, aber sie hörte nichts. Langsam, ungeschickt, mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer der Auskunft.
»Welchen Ort wünschen Sie?« Die Frau brüllte förmlich.
Jane drückte den Hörer fester ans Ohr. Nicht das kleinste Geräusch durfte entweichen.
Sie selbst flüsterte. »San Diego. Die Nummer von Tommy Lawrence.«
»Würden Sie bitte etwas lauter sprechen.«
Jane neigte den Kopf wie zum Gebet und nuschelte: »Ich möchte San Diego. Die Nummer von Tommy Lawrence.«
»San Diego? Sagten Sie San Diego?«
»Ja.« Verdammt noch mal, ja!
»Da müssen Sie die Fernauskunft anrufen.«
»Welche Nummer?« Es klang wie ein Seufzen.
»Eins-zwei-eins-drei - fünf-fünf-fünf - eins-zwei-eins-zwei«, sagte die Telefonistin und legte auf.
Jane tastete nach dem Knopf oben auf dem Apparat, wartete, bis das Amtszeichen ertönte, tippte dann die Nummer ein.
»Auskunft. Welchen Ort wünschen Sie?«
»San Diego.« Die beiden Wörter schienen Jan im Arbeitszimmer zu hallen wie in einer Echokammer.
»ja?«
»Die Nummer von Tommy Lawrence bitte.«
»Adresse?«
»Die weiß ich nicht.«
»Einen Augenblick bitte.«
Beeil dich. Bitte beeil dich, flehte Jane. »Ich habe hier einen Eintrag für Thomas Lawrence in der South County Road und einen für Tom Lawrence in der Montgomery Street.«
»Ich weiß es nicht.« O Gott, ich weiß es nicht. Denk nach, befahl eine Stimme. Versuch, dich an die Adresse zu erinnern, die in deinem kleinen Buch stand. Versuch, den Eintrag zu sehen. Jane schloß die Augen, beschwor das Bild ihres privaten Telefonbuchs und blätterte zur entsprechenden Seite. Sie sah den Namen
ihres
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