Lauf, so schnell du kannst
musste, und dass sie ihn deswegen abgrundtief hasste. Sie würde ihn jetzt noch mehr hassen, nachdem er ein Angebot auf ihren Besitz gemacht hatte. Sie musste denken, dass er ihre Situation ausnutzte. Das Letzte, was sie wollen würde, wäre, dass er sie bei einem Job verfolgte, um für ihre Sicherheit zu sorgen, selbst wenn er die Zeit oder die Neigung dafür gehabt hätte, was nicht der Fall war. Jedenfalls hatte er nicht viel Zeit – oder Neigung. Die letzten Worte stahlen sich in sein Gehirn und ließen ihn noch finsterer blicken.
Die Mikrowelle piepte. Er öffnete die Tür und steckte den Finger in den Kaffee, um festzustellen, ob er heiß genug war, dann zog er ihn schnell wieder heraus. Scheiße, ja. Er kippte genug Zucker hinein, um den scheußlichen Geschmack zu überdecken, rührte um, lehnte sich dann an die Theke und nippte daran. Nicht schlecht. Gar nicht schlecht. Warum konnte er nicht einfach seine Tasse Kaffee genießen und die Tatsache, dass das Geschäft gut lief? Im Großen und Ganzen war das
Leben
gut. Er brauchte Angies Probleme nicht auf sich zu laden.
Warum ließ er es eigentlich zu, dass sie ihm so unter die Haut ging? In seinen ganzen siebenunddreißig Jahren war ihm keine andere Frau begegnet, die so nervig war wie sie. Sie war stur wie eine alte Ziege, und sie hatte deutlich klargemacht, dass sie ihn hasste wie die Pest. Kein Arsch der Welt, egal wie prächtig, war die Art von Ärger wert, die sie ihm verursacht hatte. Doch ob es ihm nun gefiel oder nicht, sie ließ ihn definitiv nicht los, hatte sich festgebissen wie eine Zecke.
Verdammt noch mal, was war denn bloß los mit ihm? Binnen weniger Sekunden hatte er sie sowohl mit einer alten Ziege als auch mit einer Zecke verglichen und zerbrach sich trotzdem immer noch den Kopf über Harlans Worte und machte sich Sorgen um eine Frau, die ihn nicht mal mit dem Arsch anguckte.
Wenn Harlan dieselbe Sorge über irgendjemand anderen in der Stadt geäußert hätte, hätte Dare keinen zweiten Gedanken darauf verschwendet. Doch Angie war schließlich erwachsen. Sie würde bewaffnet sein. Sie würde ihre Kunden sicher auf Herz und Nieren überprüfen, bevor sie sie annahm. Sie kannte das Gebiet genauso gut … nein, sogar noch besser als irgendjemand sonst, bis auf ihn. Sie war eine solche Giftspritze, dass er sich mehr um die Sicherheit ihrer Kunden sorgen sollte als um ihre.
Dare trank seinen Kaffee und genoss jeden Schluck. Sein Groll verblasste ein wenig, als er einen Blick auf den Haufen Papier warf, der auf dem Tisch lag. Er hatte zehn Tage frei, zehn Tage Freiheit. Seine Vorbereitungen für den Winter würden für den Moment genügen. Er musste einige Reparaturen durchführen, aber nichts Dringendes. Der Papierkram würde ihm nicht weglaufen. Und vergiss es, Angie Powell zu beschatten, als wäre sie ein hilfloses Weibchen, das einen beschissenen weißen Ritter brauchte.
Er würde angeln gehen, verdammt. Er würde allein auf den Berg gehen, um etwas Ruhe und Frieden zu finden, sich eine kleine Auszeit gönnen, die er dringend nötig hatte. Und wenn er durch diese Auszeit in Angies Nähe geriet, vielleicht sogar in ihren Weg, nun, dann war das nichts als bloßer Zufall.
Ja, genau. Er würde sich das einfach weiter einreden. Und das würde er verdammt noch mal auch Angie erzählen, wenn er das Pech hatte, von ihr entdeckt zu werden.
Sobald Dare seine Entscheidung getroffen hatte, packte er seine Sachen mit der Geschwindigkeit und Präzision eines Mannes zusammen, der das schon tausend Mal gemacht hatte. Er packte Streifen von Trockenfleisch, Kraftriegel, einen kleinen Verbandskasten, mehrere Dosen Bärenspray, Wasserflaschen, Aspirin – weil er vielleicht Angie begegnen und sie ihm garantiert Kopfschmerzen bereiten würde – und ein sauberes Flanellhemd in den Rucksack. Sein Satellitentelefon, geladen und bereit, kam ebenfalls in den Rucksack. Oben im Lager befanden sich noch weitere Vorräte, aber er ging nie mit leeren Händen dorthin.
Die Angelausrüstung war ein anderes Thema. Dare war seit Monaten nicht mehr allein angeln gewesen, daher nahm er sich Zeit, die Fliegenrute zu inspizieren und eine neue Schnur aufzuziehen. Die meisten seiner Kunden kamen zwar zum Jagen, aber er hatte auch schon die eine oder andere Anglertruppe geführt. Er selbst angelte jedoch nie, wenn er mit Kunden zusammen war; wenn er die Absicht hatte zu angeln, dann lieber allein, um den Frieden und die Stille zu genießen.
Wenn seine Anglerkunden
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