Lauf, so schnell du kannst
waren, sodass die Pferde etwas Schutz hatten. Wenn der Wind auffrischte, würde sie Kiefernzweige abschneiden, um sie als Windschutz an dem Gehege zu befestigen. Es war ihr wichtig, sich um ihre Pferde zu kümmern, weil ihr Leben durchaus von den Tieren abhängen konnte.
Soweit es sie betraf, hatte dieses Camp bis auf Fernsehen und Handyempfang eigentlich alles. Wenn Davis so erfahren war, wie er behauptete, hätte er dann nicht wissen müssen, was er zu erwarten hatte, oder zumindest eine allgemeine Vorstellung davon gehabt?
»Welches Zelt ist meins?«, fragte er mit gepresster Stimme.
Angie zeigte, ohne zu zögern, auf das Zelt links außen. Sie würde das nehmen, das ganz rechts lag; sie wollte so viel Abstand zu ihnen haben wie möglich. Gut, der Abstand war zwar nicht besonders groß, weil die Zelte nur etwa drei Meter voneinander entfernt waren, aber jede Kleinigkeit zählte.
Davis ließ sein Pferd stehen und verschwand im Zelt.
Sie starrte ihm nach, und ihr klappte angesichts des unglaublichen Verhaltens dieses Mannes der Unterkiefer herunter.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Chad und rang die Hände.
Sie schüttelte sich und nahm die Schultern zurück. »Seine Manieren sind nicht Ihre Schuld«, erwiderte sie und griff nach den Zügeln des Schwarzbraunen, bevor er auf die Idee kam, sich selbstständig zu machen.
Chad half ihr, die Pferde abzusatteln und zu tränken und dann die Ausrüstung in ihrem Zelt zu verstauen. Sie würde nicht viel Bewegungsfreiheit haben, aber das machte nichts; sie würde sich ohnehin nicht viel im Zelt aufhalten, und so war alles in Reichweite. Außerdem würde kein umherstreifendes Raubtier an ihre Vorräte gelangen und alles zerstören können, zumindest nicht ohne sie zu warnen. Sie behielt nicht nur ihr Gewehr in Griffweite, sie hatte außerdem noch eine Pistole, die auch neben ihr lag, wenn sie schlief.
Wie sie erwartet hatte, bewegte sich Chad etwas zaghaft, aber er beklagte sich nicht. Schon bald hatten sie alle Arbeiten erledigt, obwohl es schneller gegangen wäre, wenn sich Davis aufgerafft hätte zu helfen. Sie bemerkte, dass Chad ängstliche Blicke auf das Zelt warf, und schließlich sagte er zögernd: »Sollte ich … ich meine, hatten Sie vor, heute schon zu jagen?«
»Es wäre Zeitverschwendung, wenn wir nicht zumindest die Gegend erkunden würden«, stellte sie fest. »Ich kenne die Stelle, an der ich Bärenspuren gefunden habe. Wir müssen nachsehen, ob es frische Spuren gibt.« Einen Bären anzulocken war kein leichtes Unterfangen; in Montana durften Jäger keine Bärenköder auslegen oder Duftlockstoffe verwenden. Sie mussten den Bären
finden,
wenn möglich sogar einen herbeirufen, indem sie eine Lockpfeife benutzten. Die Jagd war auf die Zeit zwischen einer halben Stunde vor Sonnenaufgang bis einer halben Stunde nach Sonnenuntergang beschränkt.
»Ich werde, ähm, ich werde Mitchell rufen«, sagte Chad, drückte die Schultern durch und ging zu Davis’ Zelt hinüber.
Angie holte ihre orangefarbene Jagdweste hervor und zog sie an, dann überprüfte sie die beiden Dosen mit Bärenspray, um sicherzugehen, dass sie ungehinderten Zugriff auf sie hatte. Sie lud das Gewehr und steckte sich eine zusätzliche Schachtel Munition in eine der Westentaschen. Sie hatte ihr Fernglas, ihre Lockpfeife und eine Wasserflasche bei sich, und während sie darauf wartete, dass Chad aus Davis’ Zelt zurückkam, aß sie hastig einen Proteinriegel und spülte ihn mit Wasser hinunter. Das Brötchen, das sie zum Frühstück gegessen hatte, hatte nicht lange vorgehalten, darum kam sie fast um vor Hunger.
Chad kehrte aus dem Zelt zurück, und sein Gesicht zeigte jene dunkelrote Farbe, die ihr auf dem Ritt in die Berge so vertraut geworden war. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. »Er, ähm, er sagt, wenn Sie den Bären gefunden haben, würde er kommen. Bis dahin hat er kein Interesse.«
Dies war ein sehr guter Zeitpunkt, um mit Meditation zu beginnen. Angie hielt für einige Sekunden den Atem an, dann stieß sie ihn langsam wieder aus. Und noch mal. So, das war schon besser. Vielleicht war an dieser Atemsache ja wirklich was dran. Sie dachte eigentlich nicht, dass sie große Probleme mit Wut hatte – außer wenn es Dare Callahan betraf, dann war alles möglich. Aber auch sonst kam es durchaus vor. Jeder Mensch hatte seine eigene Belastungsgrenze, und was Davis betraf, so hatte sie ihre weit überschritten.
Die meiste Zeit über liebte sie ihren Job. Fast alle ihre Kunden
Weitere Kostenlose Bücher