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Lauf, so schnell du kannst

Lauf, so schnell du kannst

Titel: Lauf, so schnell du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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waren einhundertdreiundfünfzig Bilder, aber nachdem sie sich ein paar von ihnen angeschaut hatte, machte sie die Kamera aus. Sie würde sich den Rest später ansehen, obwohl sie bezweifelte, dass es eine Möglichkeit gab, herauszufinden, wem die Kamera gehörte. Sie musste dem Fotografen vor wer weiß wie vielen Tagen aus der Tasche gefallen sein.
    Sie schob die Kamera in die Innentasche ihrer Jacke und zog den Reißverschluss zu, dann rückte sie ihre orangefarbene Weste zurecht. Sie sah sich noch einmal um, und in diesem Moment sah sie in etwa zehn Metern Entfernung neben einer großen Gruppe von Felsbrocken den Stofffetzen. Er sah aus, als könnte er vielleicht ein Teil von einer Decke sein. Sie überprüfte die Umgebung, sah nichts und ging vorsichtig darauf zu.
    Keine Decke, sondern das Stück eines karierten Hemdes. Das Karo war an einer kleinen Stelle des Stoffes sichtbar; der Rest war schwarz und steif von Blut.
    Sie blieb wie angewurzelt stehen, und ihr stellten sich die feinen Nackenhärchen auf. Sie ging nicht näher heran, um den Stoff aufzuheben, sondern blieb stehen, wo sie war, drehte sich um die eigene Achse und überprüfte noch einmal die Umgebung. Auf dem Berg war es still.
    Sie nahm den Boden rund um den Hemdfetzen in Augenschein. An manchen Stellen war er dunkel, dort, wo die Erde zerfurcht und aufgewühlt war. Abdrücke von großen Tatzen mit kurzen Klauen sagten Schwarzbär, nicht Grizzly. Da waren Schleifspuren, als wäre etwas über den Boden gezerrt worden. Sie folgte den Spuren mit dem Blick und sah etwas, das wie ein Stück rohen Fleisches aussah, dunkelrot, sehnig.
    Sie wich zurück, weg von der Stelle, damit sie nichts zerstörte, dann ging sie ein paar Meter den Weg entlang, bevor sie sich wieder hinüberarbeitete. Sie kam nun schwerer voran, der Hang war viel steiler; sie musste sich mit einer Hand abstützen und jeden Schritt überprüfen, um sicherzugehen, dass der Boden hielt, bevor sie ihr ganzes Gewicht darauf verlagerte. Als sie auf gleicher Höhe mit der Felsgruppe war, schaute sie auf.
    Und hätte sich fast übergeben.
    Die Überreste des Mannes – wahrscheinlich war es ein Mann, sie konnte nicht sicher sein, denn er hatte kein Gesicht mehr – waren mit Erde bedeckt. Bären taten das mit halb verzehrter Beute. Die Eingeweide waren gefressen worden. Ein Teil eines Armes lag in der Nähe. Und als hätte er einen Besitznachweis hinterlassen wollen, konnte sie sehen, wo der Bär hingemacht hatte.
    Ach du Scheiße! Oh Scheiße. Scheiße!
Sie meinte nicht die Bärenscheiße, sondern die Art von Scheiße, die besagte: Oh mein Gott, holt mich hier raus!
    Sie hatte schon früher gerissene Tiere gesehen. Die Natur war nicht sauber und ordentlich; sie war schmutzig und brutal. Aber sie hatte noch nie zuvor einen halb aufgefressenen Menschen gefunden, und ihr drehte sich der Magen um. Sie unterdrückte die Übelkeit, kämpfte gegen das abrupte Gefühl von Panik an, als sie sich plötzlich den Bären vorstellte, wie er direkt hinter ihr auf dem Pfad aufragte, genau wie in ihrem Albtraum.
    Schnell zog sie ihr Gewehr aus der Tasche, die auf dem Rücken hing, und lud eine Patrone ins Patronenlager. Die beruhigenden, mechanischen Geräusche der sich bewegenden Metallteile waren alles, was sie hören konnte. Erneut überprüfte sie die gesamte Umgebung. Kein Bär, kein Puma, keine Kojoten, die es auf die Beute des Bären abgesehen hatten. Nichts. Das »nichts« war fast so beängstigend wie »etwas«, denn sie wusste, dass der Bär in der Nähe war. Sie gaben ihre Beute nicht freiwillig auf. Er war jedoch nicht nah genug, um sie zu wittern, sonst wäre sie schon dabei, einen Angriff abzuwehren.
    Aber wenn er zu seiner Beute zurückkehrte und ihre Duftspur kreuzte, würde er sie aufspüren? Schwarzbären taten das. Sie pirschten sich an Menschen an. Menschen waren einfach ein Teil ihrer Nahrungskette.
    Sie kehrte auf den Pfad zurück und machte sich auf den Weg zurück ins Camp, und zwar so schnell es der Weg erlaubte. Sie sah auf die Uhr, kalkulierte Entfernungen. Es musste sofort gemeldet werden, das Fish and Wildlife Department von Montana musste alarmiert werden, dass ein Menschenfresser in der Gegend war. Der Leichnam musste geborgen und identifiziert werden. Aber es war bereits so spät am Nachmittag, dass sie kaum vor Einbruch der Dunkelheit zurück ins Lager käme – und dann würden sie es auf keinen Fall noch bis zu Ray Lattimore schaffen.
    Obwohl Mitchell Davis von dieser Jagd

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