Lauf, so schnell du kannst
mächtigen Kopfes herumwarf, Fleisch herausriss und seinen Leichnam über den Boden rollen ließ. Der riesige Bär fiel über den Toten her, wie eine Katze mit einem neuen Spielzeug umgeht – ohne das Gewitter wahrzunehmen, das um ihn herum tobte.
Der Bär wandte ihr den Rücken zu.
Jetzt.
Angie zog das Gewehr zu sich heran. Der Schlamm saugte daran, widersetzte sich ihren Bemühungen, es hochzuheben. Fieberhaft und mit zitternden Händen versuchte sie, es abzuwischen, aber die Realität traf sie wie ein Schlag: Sie konnte dieses Gewehr nicht abfeuern, bis sie es gereinigt hatte. Der Mechanismus war vollkommen schlammverkrustet.
Sie hätte beinahe gewimmert, wäre fast verzweifelt im Matsch zusammengebrochen. Nur der Gedanke, dass der Bär ihr das Gleiche antäte, was er jetzt mit Davis tat, hielt sie davon ab, in ein endloses Wehklagen auszubrechen. Still. Sie musste ganz still sein.
Genauso langsam und bedächtig, wie sie vorwärtsgekrochen war, wiederholte sie den Prozess jetzt umgekehrt, wobei sie das Gewehr mit sich schleifte. Sie machte erst halt, als Bäume zwischen ihr und dem Bären waren, als die Blitze die schauerliche Szene nicht mehr erhellten. Erst dann stand sie auf, klammerte sich an einen Baumstamm und zog sich hoch. Ihre Brust hob und senkte sich mit stummen Schluchzern, Schluchzern, die sie nicht auszustoßen wagte.
Denk nach!,
befahl sie sich. Sie musste nachdenken, oder sie würde sterben. Sie durfte nicht in Panik geraten. Diese nächsten Minuten konnten durchaus darüber entscheiden, ob sie leben oder sterben würde, daher sorgte sie besser dafür, dass sie ein paar verdammt gute Entscheidungen traf.
Sie konnte nicht hierbleiben. Selbst ohne Bär war da immer noch Chad. Sie hatte ihn jemanden töten sehen; und er hatte schon versucht, sie zu töten. Der Bär würde vielleicht seiner Wege ziehen, aber Chad würde zurückkommen. Er musste.
Das bedeutete, dass sie verschwinden sollte. Sie sollte von diesem Berg heruntersteigen, und zwar in der Nacht, in einem der schlimmsten Gewitter, die sie je erlebt hatte. Sie würde vielleicht vom Blitz getroffen werden, aber das war ihr lieber, als von dem Bären erwischt zu werden. Und dieser feige kleine Bastard Chad hatte alle Pferde genommen und wahrscheinlich gehofft, dass der Bär ihm die Mühe ersparte, sich um sie zu kümmern. Wenn der Bär mit Davis fertig war, würde man dann noch feststellen können, dass er an einer Schusswunde gestorben war, anstatt
gefressen
worden zu sein? Würde es überhaupt eine Untersuchung geben, oder würde die Situation so offensichtlich sein, dass man seinen Tod als einen Bärenangriff abschriebe, zumal es um einen zweiten ging. Und wenn sie das dritte Opfer war … dann würde lediglich der gefährliche Bär erschossen werden, und ein Mörder würde ungestraft davonkommen.
Sie wollte verdammt sein, wenn sie das zuließ.
Sie brauchte ein paar Sachen aus ihrem Zelt. Ihr Instinkt sagte: rennen. Und zwar: rennen wie der Teufel. Ihr Verstand sagte, dass sie Lebensmittel und Wasser brauchte, dass sie eine Möglichkeit brauchte, um sich warm zu halten, und sie brauchte eine Waffe, die tatsächlich funktionierte. All diese Dinge befanden sich in ihrem Zelt.
Sie blieb so weit wie möglich im Schutz der Bäume und tastete sich zwischen den Blitzen weiter vor, während sie versuchte, reglos stehen zu bleiben, wenn der Himmel aufleuchtete. So näherte sie sich dem Zelt. Sie war vollkommen durchnässt, ihre Jogginghosen saugten Wasser auf wie ein Schwamm und hingen schwer an ihr, drohten ihr über die Hüfte zu rutschen. Das Haar klebte ihr am Kopf, und sie konnte beinahe spüren, wie sie auskühlte. Als sie in das Zelt schlüpfte, zitterte sie so stark, dass sie unmöglich hätte reglos dastehen können, darum war es eine verdammt großartige Sache, dass Bären kein gutes Sehvermögen besaßen.
Also, was benötigte sie alles? Ihre Satteltasche. Sie würde trockene Sachen brauchen, und in der Satteltasche würden sie nicht nass werden. Ihre Regenjacke. Ihre Kleidung konnte nicht noch nasser werden, aber die Regenjacke würde verhindern, dass sie auskühlte. Und wenn sie einen Ort fand, an dem sie sich unterstellen konnte, würde die Jacke den Regen abhalten. Dann die Pistole. Einen Bären würde sie zwar nicht aufhalten, aber Chad Krugman todsicher, und es würde die Aufmerksamkeit des Bären erregen.
Was noch? Etwas zu essen. Sie stopfte ein paar Proteinriegel in die Satteltasche. Ebenso eine Flasche Wasser. Eine
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