Lauf, so schnell du kannst
Weiße zu sehen war, und versuchte mit aller Macht, sich loszureißen. Dare krabbelte die ersten Schritte auf allen vieren, bevor er das Gleichgewicht wiederfand, und in diesen entscheidenden zwei Sekunden, die ihn die Verzögerung kostete, schlug das Unglück in Form eines Astes zu. Es war noch nicht einmal ein besonders großer Ast, aber der peitschende Wind brach ihn ab, und er kam aus der Nacht gesegelt wie ein Stein aus einer Steinschleuder – und schlug gegen die Brust und den Hals des Tieres.
Der Buckskin drehte durch. Bevor Dare sich auf ihn werfen und die Zügel zu fassen bekommen konnte, um den Kopf herunterzuziehen, riss das Tier die Zügel mit einem mächtigen Halsruck los und stürmte davon. Es rannte nicht einfach ein paar Meter und blieb dann stehen, wie Pferde es für gewöhnlich taten; es ging durch, vor Angst wie von Sinnen, und binnen weniger Sekunden war es in der Nacht verschwunden.
»Gottverdammt!«, brüllte Dare. »Du blöder Drecksack!« Er wusste nicht, ob er sich selbst meinte oder das Pferd, aber
Fuck,
jetzt mussten sie zu Fuß gehen und das verdammte Satellitentelefon war in der Satteltasche, darum konnte er nicht einmal Hilfe rufen, wenn das Wetter aufklarte. Das Pferd mochte hundert Meter entfernt stehen bleiben, doch in der Dunkelheit und bei dem Wetter würde er es nicht sehen können. Aber er glaubte das eigentlich nicht; dieses Pferd hatte solche Angst, dass es vielleicht erst aufhören würde zu rennen, wenn es nicht mehr rennen konnte. Er hoffte, dass es nicht stolperte und sich seinen dummen Hals brach.
Er stand da, schwer atmend und vor Frustration schäumend, so wütend war er auf sich selbst, weil er die Zügel nicht fester angebunden hatte, dass er seinen Hut auf den Boden geworfen und darauf herumgetrampelt hätte, wenn er ihn nicht gebraucht hätte. Es war seine Schuld. Er hatte
gewusst,
wie nervös der Buckskin war, und statt einfach die Zügel um den Ast zu schlingen, hätte er sie verknoten sollen. Er hatte es so verdammt eilig gehabt, Angie zu erreichen, dass er unvorsichtig geworden war. Und jetzt steckten sie in einer schönen Scheiße mit ihrer Verletzung und …
Sie hatte keinen Laut von sich gegeben.
Ein Frösteln lief ihm über den Rücken, ein Frösteln, das nichts mit dem kalten Regen oder dem Gewitter oder sogar mit der ernsten Lage zu tun hatte. Der Blitz konnte unmöglich durch den Boden gelaufen und sie getroffen haben, ohne auch ihn zu treffen. Aber er hatte sie praktisch auf den Boden geschleudert; dort könnte ein Stein gelegen haben, sie könnte sich den Kopf angeschlagen haben … langsam, und ihm war beinahe schlecht vor Angst vor dem, was er da womöglich sehen würde, drehte er den Kopf, um sie anzuschauen.
Sie kämpfte sich in eine sitzende Position, rollte halb auf die Seite und stemmte sich mit den Händen hoch, um sich aufzusetzen. Die Kapuze ihrer Regenjacke war nach unten geklappt, ihr Kopf war ungeschützt; das dunkle, triefende Haar klebte ihr am Schädel, sie war Gott weiß wie lange über unglaublich rauen Boden gekrochen, aber sie bewegte sich, sie war immer noch dabei, sie gab immer noch nicht auf
.
Sein Magen krampfte sich zusammen. Er hatte ihr gegenüber versagt, indem er das Pferd hatte entkommen lassen. Mit dem Pferd hätte er sie in knapp einer Stunde sicher und trocken gehabt. Jetzt musste er sie von hier wegtragen, und er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, sein Lager zu Fuß zu erreichen. Wenn er mit einem Rucksack auf relativ flacher Strecke unterwegs sein würde, könnte er mühelos vier Meilen pro Stunde schaffen. Aber mit einem Menschen auf den Armen, in diesem Gelände? Auf gar keinen Fall. Er würde doch nur in einen Abgrund stürzen und sie beide umbringen. Mit etwas Glück würden sie sein Lager bei Tagesanbruch erreichen – das war noch Stunden entfernt, Stunden, bevor er ihren Knöchel versorgen konnte, Stunden, bevor er sie warm und trocken bekäme.
Er ging zu ihr, ließ sich wieder auf ein Knie herunter und half ihr in eine sitzende Position. »Bist du in Ordnung?«
»Ich weiß nicht.« Sie sah sich etwas benommen um. »Ich fühle mich … ein bisschen komisch. Wo ist … er eingeschlagen?« Sie zitterte und war atemlos, und ihre Stimme war schwach, aber zum Glück war kein Anflug von Hysterie in ihrem Ton zu hören. Vielleicht würde er ihr eines Tages sagen, wie unglaublich dankbar er ihr dafür war, dass sie sich zusammenriss. Ob Mann oder Frau – und er hatte schon einige Leute im
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