Lauf, so schnell du kannst
darauf achtete, dass der Stoff nur leicht auf ihrem Fuß auflag. Ein tiefer Seufzer drang aus seiner Brust, als er sich hinlegte, aber kein ungeduldiger Seufzer, sondern einer der Entspannung. Er winkelte den linken Arm unter dem Kopf an und sank wieder in den Schlaf, wie ein Stein, der in dunkles Wasser fällt.
Der Augenblick, die Situation brannte sich ihr ins Gedächtnis ein. Vorsichtig drehte sie den Kopf gerade so weit herum, dass sie sein Gesicht sehen konnte. Aus solcher Nähe und selbst bei dem düsteren Licht konnte sie jede einzelne dicke, dunkle Wimper erkennen, die Details seiner starken Knochenstruktur, die kleine Narbe über dem Nasenrücken. Er war kein schöner Mann, durchaus nicht, aber er war definitiv ein
Mann.
So wütend sie auf ihn gewesen war, sosehr sie ihm die Art verübelt hatte, wie er so viel von ihrem Geschäft abgeschöpft hatte, indem er einfach
er
selbst war, so war sie doch nie immun gegen ihn gewesen. Wenn er irgendwo in der Nähe war, war sie sich seiner genauen Position nur zu bewusst, des rauen, kratzigen Klangs seiner Stimme; der kraftvollen, zurückhaltenden Anmut seiner Bewegungen. Es war, als wäre ihre Haut ein Kompass für seinen magnetischen Norden, und diese Schwäche hatte sie an sich gehasst.
Angie lag einige Minuten wach – ein paar wenige – und lauschte auf den Regen und das schwere, rhythmische Geräusch von Dares Atem. Sie war an dem einem Ort, an den sie nie zu kommen geglaubt hatte – mit ihm im Bett, in seinen Armen. Und es kam ihr so natürlich vor, dass sie nicht sicher war, ob sie wirklich wach sein konnte.
Sie musste nachdenken, aber … später.
Er weckte sie, indem er ihre Beine sanft von seinen herunterhob. »Was machst du da?«, murmelte sie gereizt, weil sie es in dieser Position geschafft hatte, etwas anständigen Schlaf zu finden. Sie hätte eigentlich wie ein Toter schlafen sollen, stattdessen schien es ihnen aber bestimmt zu sein, dass einer den anderen andauernd weckte.
»Ich muss.« Er richtete sich auf und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, und sein Stoppelbart klang auf seinen rauen Händen wie Schmirgelpapier.
»Muss
wohin
? Es gießt immer noch.« Mehr schlafend als wach warf sie ihm einen Blick zu, der gleichzeitig verwirrt und brummig war.
»Nicht ›muss wohin‹, nur ›muss‹. Wie in ›muss mal‹. Was ist mit dir?«
Oh Gott. Angie stöhnte. »Ich wünschte, du hättest es nicht erwähnt.« Aber das hatte er, und jetzt wusste sie, dass sie nicht wieder einschlafen würde, bis dieses Problem gelöst war. Sie drehte das Handgelenk, um zu schauen, wie spät es war, aber sie war zu groggy, um klar sehen zu können. »Ich kann meine Armbanduhr nicht erkennen«, murmelte sie und ließ den Arm wieder auf die Matratze fallen. Ihre Armbanduhr würde ohnehin nicht mehr funktionieren, nachdem sie all diesem Regen und Schlamm ausgesetzt gewesen war. »Wie spät ist es?« Sobald sie sich danach erkundigt hatte, fragte sie sich, welche Rolle die Zeit jetzt spielte.
»Fast Mittag.«
Na, kein Wunder, dass sie mal musste. Sie grübelte noch einen Moment über die Situation nach, während Grauen und Resignation zunahmen. Sie setzte sich mühsam auf und stützte sich auf einem Arm ab, während sie sich vorzustellen versuchte, den warmen Kokon des Schlafsacks zu verlassen. Gegen alle Hoffnung sagte sie: »Bitte, sag mir, dass es hier eine Spültoilette gibt.«
Er schnaubte. Okay, das war Antwort genug.
»Campingtoilette?« Dann würde sie sich wenigstens nicht irgendwo hinter einen Busch hocken müssen. Sie versuchte, nicht an die dazugehörige Anstrengung zu denken, mit einem verstauchten Knöchel, der ihr Gewicht nicht trüge.
»Hinter der Hütte.«
Puh! Das bedeutete immer noch, Stiefel und Regenjacke anzuziehen, die Leiter hinabzusteigen und in den Regen hinauszugehen, wobei sie auf ihrem gesunden Fuß hüpfen musste, aber das war um Ecken besser als der Busch, an den sie gedacht hatte.
»Ich könnte vielleicht etwas suchen, wo du reinpinkeln kannst«, meinte er, klang aber zweifelnd. »Denkst du, du könntest eine Flasche treffen?«
»Ich denke, ich könnte eine Campingtoilette treffen«, knurrte sie. »Wofür hältst du mich, für einen Präzisionspinkler? Frauen üben so was nicht.«
Sein Mund zuckte, eine Bewegung, die die kleine Narbe auf seiner Wange noch mehr wie ein Grübchen aussehen ließ. Sie hatte das Gefühl, dass jeder andere laut gelacht hätte, aber Dare kam ihr nicht wie jemand vor, der viel lachte. Sie
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