Lauf, so schnell du kannst
weil Angie einen Vorsprung hatte, und sie konnte all seine Pläne vermasseln. Verdammt, er hätte dafür sorgen sollen, dass sie tot war, statt so in Panik zu geraten und die Pferde zu nehmen und wegzulaufen wie ein verängstigtes kleines Mädchen. Klar, alles war schiefgegangen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Angie sehen würde, wie er Davis erschoss, er hatte auch nicht mit dem Bären gerechnet – wer hätte das schon? Und dann war er in Panik geraten. Es gab keine Entschuldigung. Das durfte nicht noch einmal geschehen, denn man brauchte sich nur anzuschauen, wie die Sache außer Kontrolle geraten war.
Er wappnete sich und schob sich durch die Bäume. Es war nicht mehr weit; sie waren nicht mehr als dreißig oder vierzig Meter gegangen, oder? Ja, da drüben. Sie hatten genau dort gestanden. Aber Davis’ Leichnam war fort. Chad ging näher heran und trat auf etwas Matschiges. Der Geruch von Scheiße ließ ihn würgen. Er sah hinab und blinzelte, während er einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass sein Fuß nicht in einem Haufen Scheiße steckte, sondern sich stattdessen in einem zerfetzten Stück Darm verfangen hatte. »Fuck!« Er sprang zur Seite, dann verlor er vollkommen die Fassung.
Er konnte seine Reaktion nicht kontrollieren. Er drehte den Kopf und erbrach sich heftig auf den Boden, würgte Galle hoch. Er hatte seit Stunden nichts gegessen, daher musste er wenig später trocken würgen. Jesus! Die über den Boden verstreuten Leichenteile waren nicht mehr als Mann erkennbar, geschweige denn als Mitchell Davis. Der Regen hatte eine große Menge des Blutes in den Boden gewaschen, aber nichts konnte diese Szene mehr reinigen, nichts konnte ihr in irgendeiner Weise den Schrecken nehmen.
Als er die Kontrolle über seinen Magen zurückerlangt hatte, wischte er sich erst die tränenden Augen ab, dann den Mund. Er machte kleine Schritte vorwärts und versuchte, auf nichts zu treten, das früher einmal ein Teil von Davis gewesen war. Selbst in dem Regen war der Gestank beinahe überwältigend. Er versuchte, durch den Mund statt durch die Nase zu atmen, aber dann konnte er den Gestank schmecken. Ihm drehte sich wieder der Magen um, und er erlitt einen weiteren Krampf, vornübergebeugt, während ihm der Schnodder aus der Nase lief. Sein Blick fiel auf ein Stück von einem Hemd, das neben etwas lag, das wie ein Teil einer Hand aussah. Ja, das war ein Finger – übel zerfleischt, aber immer noch erkennbar.
Dann stellte er fest, dass sein Verstand nach dem anfänglichen Entsetzen entweder zu akzeptieren begann, was er sah, oder jede Reaktion ausblendete. Als er sich aufrichten und wieder atmen konnte – obwohl er schnaufte wie ein hundert Jahre alter Knacker –, schien das Gemetzel nicht mehr gar so schlimm zu sein. Vielleicht wirkte ein Körperteil nicht entsetzlicher als das vorherige. Vergiss Davis; er war schon tot gewesen, als der Bär angefangen hatte, an seinem Körper zu nagen, also hatte es für ihn nichts geändert.
Chad fühlte sich nun ruhiger und ließ den Blick über die Lichtung schweifen, bis er einen Jeansfetzen sah. Er ging darauf zu, hielt die Augen nur auf den Stoff geheftet, blendete die verstreuten Überreste von dem aus, was einst ein Mann gewesen war. Als er näher kam, sah er, dass es sich bei dem Jeansstoff um das Stück von einem unteren Hosenbein zu handeln schien. Das war nutzlos. Hier und da lagen andere blaue Stoffteile verstreut, einige zu klein, zu zerfetzt, um das sein zu können, wonach er suchte. Wenn die Schlüssel auf den Boden gefallen waren, würde er sie in diesem schlammigen Chaos vielleicht niemals finden. Verdammter Davis! Warum hatte er die Schlüssel nicht im Zelt gelassen? Oder warum hatte er nicht Chad fahren lassen?
Hier war nichts. Verzweifelt drehte er sich einmal um die eigene Achse und schaute über die Lichtung hinaus in das Unterholz der Büsche, und schließlich sah er etwas, das – nun, es war nicht blau, aber es war … Er ging näher heran, schob den Strauch beiseite und jaulte auf, als ihm ein Dorn die Hand aufriss.
Er schluckte hörbar, dann ließ er sich auf die Fersen nieder und starrte auf das, was von der zerrissenen, blutbefleckten Jeans übrig war. Ein Teil von Davis steckte noch darin. Nicht viel, aber er musste wieder würgen. Er wappnete sich, dann schob er die Hand in die Tasche, die ihm am nächsten war, und suchte nach den Schlüsseln. Selbst das Innere der Tasche fühlte sich matschig und klebrig an. Er schloss die Augen,
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