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Lauf, so schnell du kannst

Lauf, so schnell du kannst

Titel: Lauf, so schnell du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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fragte sich, ob er es je getan hatte, ob er als junger Mann offener gewesen war und ob er sich erst während seiner Militärzeit in den schlecht gelaunten, verschlossenen Menschen verwandelt hatte, der er heute war.
    Unmittelbar auf diesen Gedanken folgte die Erkenntnis, dass es bei ihr selbst genauso gewesen war. Als sie jünger war, hatte sie mehr gelacht, war extrovertierter gewesen, dann war sie aus Verlegenheit und Selbstzweifel für eine Weile verschlossen geworden und hatte sich von anderen Menschen zurückgezogen. Als diese Mauern jedoch erst einmal hochgezogen waren, war es leichter gewesen, sich hinter ihnen zu verstecken, als ungeschützt und verwundbar zu sein. Es hatte eine Anstrengung bedeutet, wieder auf ihre Freunde zuzugehen, aber sie war so froh gewesen, dass sie es getan hatte. War es das, was mit ihm geschehen war? Konnte er nicht mehr hinter seinen eigenen Mauern hervor?
    »In dem Fall, wie wärs mit einem Eimer?«, fragte er nüchtern. »Da ist einer, den ich für die Pferde benutze.«
    Bei dem Bild, das dieser Vorschlag in ihr heraufbeschwor, wollte sie schon lachen, aber ihre eigenen Probleme ließen sie ernster antworten. »Nein, danke. Ich komme schon klar.«
    »Dann Ladys first. Schaffen wir dich die Leiter runter; ich kann warten.«
    Sie fühlte sich versucht, aber der gesunde Menschenverstand meldete sich. »Geh nur. Ich werde diese Hose ausziehen und meine Jogginghose wieder anziehen; sie ist schon nass, und es hat keinen Sinn, noch ein Paar nass zu machen.«
    Er widersprach dieser Logik nicht, sondern holte nur ihre klamme, schmutzige Jogginghose und ließ sie neben der Matratze fallen, wo sie leicht an sie herankommen konnte. Nachdem er die Stiefel und den Regenmantel angezogen hatte, ließ er die Leiter hinunter und verschwand außer Sicht.
    Ein
Eimer?
    Als sie allein war, kräuselten sich Angies Lippen zu einem matten Lächeln. Sie hätte den Vorschlag angenommen, wäre da nicht die unangenehme Aussicht darauf gewesen, besagten Eimer auch entleeren zu müssen. Wenn sie es selbst hätte tun können, kein Problem, aber sie ließ nicht zu, dass Dare Callahan eine so persönliche Aufgabe für sie übernahm. Das kam gar nicht infrage.
    Andererseits
hatte
er auch ihren nackten Busen gesehen – er hatte sie fast ganz nackt gesehen, um genau zu sein. Zu jeder anderen Zeit wäre sie zutiefst gedemütigt gewesen, nicht weil sie so schamhaft war, sondern weil sie ihm gesagt hatte, dass er nicht über ihre Brüste lachen solle, da sie so klein waren. Vielleicht würde sie das alles mehr stören, wenn sie sich wieder normaler fühlte, wenn sie nicht mehr so benommen war von dem Grauen der Ereignisse der vergangenen Nacht, gefolgt von dem reinen Kampf ums Überleben, der sie auf wenig mehr als Willenskraft – oder Sturheit – reduziert hatte. Im Moment störte es sie nicht, obwohl sie es normalerweise hasste, irgendein Zeichen von Verletzlichkeit zu zeigen. Ihr war zu viel geschehen, um sich darüber Gedanken zu machen, ob ihr Busen zu klein war oder nicht oder dass er über sie lachen konnte.
    Aber er hatte nicht gelacht, und irgendwie dachte sie auch nicht, dass er es tun würde. Er war nicht so, wie sie es erwartet hatte. Der verdammte Mann war nichts Geringeres als heldenhaft, und das machte ihr wirklich zu schaffen, denn es bewies, dass ihr Urteil wieder einmal falsch gewesen war. Wie konnte sie irgendjemandem vertrauen, wenn sie nicht mal sich selbst vertrauen konnte?
    Doch all das war ein Thema für später, denn sie konnte jetzt schon spüren, dass sie müde wurde, und sie hatte noch nicht einmal den Ausflug zur Toilette gemacht. Sie nahm ihre Kraft zusammen, zog seine ausgebeulte lange Thermounterhose aus und ihre kalte, nasse, schmutzige Jogginghose wieder an. Und dann schauderte sie, als das klamme Material an ihren Beinen kleben blieb. Das Gefühl war schrecklich, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Situation nur vorübergehend war. Sobald sie von der Toilette zurückkam, konnte sie wieder die unschöne, aber herrlich warme Thermounterhose anziehen.
    Ihr Knöchel war ein Problem. Genauer gesagt, der Elastikverband, mit dem er verbunden war, war das Problem, denn sie konnte mit diesem Fuß nicht in ihren Stiefel steigen. Der Verband würde nass werden. Es gab nur eins, sie musste den Verband abnehmen. Sie zuckte zusammen, als sie ihren Knöchel sah; er war von einem unappetitlichen Schwarz, Blau und Grün und außerdem auf das Doppelte seiner normalen Größe

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