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Lauf, so weit du Kannst!

Lauf, so weit du Kannst!

Titel: Lauf, so weit du Kannst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bowler
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verschwunden, aber die Haustür steht noch offen. Jetzt kommt sie mit einer großen Kiste zurückgehinkt.
    Â»Nimm sie, Herrgott noch mal!«, ruft sie.
    Ich eile zurück und zur Haustür rauf und packe die Kiste.
    Sie ist randvoll mit zerbrochenem Geschirr und leeren Blumentöpfen. Die Alte sieht mich gebieterisch an.
    Â»Bring sie zu der grünen Mülltonne neben dem Haus.«
    Ich trage die Kiste um die Ecke, stelle sie ab und gehe zurück. Die Alte steht immer noch in der Haustür. Sie mustert mich kritisch, als wäre ich besoffen, dann bellt sie noch eine Frage.
    Â»Was hast du mit deiner Stirn gemacht?«
    Â»Nichts.«
    Â»Du hast da eine lange Schnittwunde. Warst du in einen Kampf verwickelt?«
    Â»Ich muss gehen.«
    Â»Warte hier.«
    Sie verschwindet ins Haus und kommt einen Augenblick später zurück.
    Â»Beug dich vor.«
    Ich beuge mich vor. Sie tupft etwas Feuchtes auf meine Stirn. Es brennt höllisch.
    Â»Halt still!«
    Sie sieht mich streng an und tupft weiter. Dann drückt sie mir ein großes Pflaster auf die Stirn.
    Â»Du musst die Wunde ärztlich behandeln lassen.« Noch ein strenger Blick. »Ich habe sie nur notdürftig versorgt. Du solltest in ein Krankenhaus gehen. Und halte dich künftig aus Kämpfen heraus!«
    Sie macht einen Schritt zurück und mustert mich wieder von oben bis unten.
    Â»Und jetzt verschwinde.«
    Dann schließt sie die Tür.
    Aber ich verschwinde nicht. Ich kann nicht, Bigeyes. Ich habe keine Kraft mehr, um woanders hinzugehen. Ich muss hierbleiben. Ich schaue mich um. Die Alte scheint nicht rauszuspähen, und ich sehe auch keine anderen Leute, die mich beobachten könnten.
    Ich schleiche ums Haus, zur Rückseite.
    Alles ist ruhig. In der Küche sind die Vorhänge nicht zugezogen. Schau durchs Fenster, Bigeyes. Siehst du, was ich meine? Alles vom Feinsten. Der Alten fehlt’s nicht an Geld. Check die Hintertür. Normalerweise ist sie nicht abgeschlossen, aber ich habe einen Nagel unter diesem Stein deponiert, für den Fall, dass ich das Schloss knacken muss.
    Wir haben Glück. Die Tür ist nicht abgeschlossen. Ich öffne sie vorsichtig und lausche. Ich höre den Fernseher aus dem Wohnzimmer. Wahrscheinlich ist die Alte dort. Ich schlüpfe ins Haus und schließe die Tür. Okay, Bigeyes, hör zu.
    Es gibt einfache Regeln für diese Hütte. Wir bewegen uns schnell und leise. Wir müssen unbemerkt am Wohnzimmer vorbei und rauf ins Dachgeschoss kommen. Aber wir nehmen was zu essen mit. Äpfel, Pastete, Mineralwasser. Das wird genügen. Also los.
    Den Flur runter, am Wohnzimmer vorbei, die Treppe rauf. Im ersten Stock bleibe ich kurz stehen und lausche. Aus dem Wohnzimmer höre ich ein Husten. Der Fernseher läuft noch. Rauf in den zweiten Stock. Ich lausche wieder. Alles in Ordnung. Schau dich um, Bigeyes. Siehst du die Schränke? Sie sind der andere Grund, warum ich hierherkomme.
    Bücher.
    Schränke voller Bücher. Da unten, auf beiden Treppenabsätzen, siehst du? Es sind auch ein paar gute dabei. Deshalb lohnt es sich, manchmal das Risiko einzugehen und zum Lesen hierherzukommen.
    Ich gehe ins obere Badezimmer, drehe vorsichtig den Hahn auf, spritze mir Wasser ins Gesicht und wasche mir die Hände. Dann schaue ich in den Spiegel. Ich habe diesen Augenblick rausgezögert, Bigeyes. Und es ist schlimmer als befürchtet.
    Nicht die Wunde. Die hat die Alte mit dem Pflaster ziemlich gut abgedeckt. Zum Glück. Sie muss übel aussehen, mit all dem verklumpten Blut dran, ganz zu schweigen von dem ganzen anderen Zeug, das Dig mit dem Messer aufgeschlitzt hat.
    Nein, es ist mein Gesicht.
    Mein Gesicht erschreckt mich.
    Ich habe dir ja schon erzählt, wie das bei mir mit Spiegeln ist. Ich muss in jeder Hütte, in die ich komme, mein Gesicht checken, um mich zu vergewissern, dass es sich nicht so schrecklich verändert hat, dass ich seinen Anblick nicht mehr ertragen kann. Mir graut vor dem Tag, an dem es soweit ist. Aber jetzt sehe ich mein Gesicht überhaupt nicht.
    Ich sehe das Gesicht von dem Kerl, der tot in dem Abstellraum lag. Und jetzt schaue ich mich an. Ich sehe aus, als wäre ich auch tot. Ich muss mich ausruhen. Ich muss was essen, was trinken und schlafen. Wenn ich all das gemacht habe, werde ich wieder besser denken können. Dann werde ich wieder fähig sein, zu kämpfen, zu leben, abzuhauen.
    Ich verlasse das Badezimmer

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