Lauf, so weit du Kannst!
Ich lasse mich auf der anderen Seite des Zauns runtergleiten und stolpere in den nächsten Garten. Jetzt schreie ich aus voller Kehle.
»Polizei! Rufen Sie die Polizei!«
Im Nachbarhaus geht das Licht an. Ich renne rüber zum Teich, schnappe mir einen Gartenzwerg und schleudere ihn aufs Gewächshaus. Er kracht wie eine Bombe durchs Glas. Im Haus geht ein Fenster auf und ein Mann brüllt raus.
»He!
»Polizei!«, schreie ich. »Polizei!«
»Wer ist da unten? Was ist los?«
Ich antworte nicht. Ich stolpere durch Blumenbeete auf den nächsten Garten zu. Der Mann am Fenster brüllt weiter. Aber von meinen Feinden keine Spur. Ich erreiche den gegenüberliegenden Zaun und klettere drüber. Der Mann schreit immer noch in die Nacht raus und nun brennt überall in seinem Haus Licht. Ich renne zum anderen Ende des nächsten Gartens.
Halt, denk nach, nur eine Sekunde. Ich muss mich konzentrieren und mir überlegen, wo ich am besten hingehe. Ich kann nicht bloà wild drauflosimprovisieren. Meine Feinde haben sich zusammengerottet und sie sind immer noch in der Nähe. Im Moment halten sie sich noch versteckt, weil die Bullen im Anmarsch sind, aber sie werden alle anderen verständigen und bald in Scharen die ganze Gegend unsicher machen.
Sie wissen jetzt, wo ich bin. Und sie wissen, dass ich schwach bin.
Sie haben recht. Ich habe kaum noch Kraft. Die Angst hat mir wieder mal geholfen, zu entwischen, aber sie wird mich nicht ewig auf den Beinen halten. Ich muss mich irgendwo verstecken, wo ich die Nacht über sicher bin. Und dann â¦
Dann muss ich irgendwie aus der Stadt rauskommen.
Ich habe solche Angst, Bigeyes.
Ich schaue mich wieder um. Immer noch keine Feinde in Sicht, aber sie werden nach einem Weg suchen, an den Häusern vorbei in die Gärten zu gelangen. Sie wissen, dass ich irgendwo auf dieser Seite bin. Es wird für sie schwieriger, mich zu verfolgen, wenn immer mehr Anwohner wach werden, aber das wird sie nicht aufhalten. Jetzt gehen in allen Häusern die Lichter an. Ich muss verschwinden, so schnell ich kann. Aber wohin?
Es gibt in dieser Gegend sonst keinen guten Unterschlupf. Das Haus der Alten war meine einzige Hütte in der Nähe. Ich fühle mich mitschuldig an ihrem Tod, Bigeyes. Ich mochte die Frau nicht, aber ich wollte nicht, dass sie stirbt. Und die Kerle haben sie wegen mir kaltgemacht. Aber darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich höre Stimmen aus den Häusern.
Ich bin nun am Zaun und schaue mich um. Ich weiÃ, was auf der anderen Seite ist. Unwegsames Gelände voller Gestrüpp bis runter zur Eisenbahnlinie, dahinter eine Baustelle, und dann wieder Häuser. Los, weiter. Ich klettere über den Zaun. Auf der anderen Seite lausche ich auf jedes Geräusch.
Ich höre keine Stimmen mehr, aber fernes Sirenengeheul.
Die Bullen rücken an.
Ich laufe weiter. Ich muss weiterlaufen. Wenn ich stehen bleibe, sterbe ich. Nicht nur weil ich verfolgt werde, sondern wegen der Kälte. Die Chancen stehen jetzt fifty-fifty. So siehtâs aus. Im Ernst, Bigeyes. Das könnte das Ende sein.
Die Böschung runter. Ich muss aufpassen, wo ich hintrete. Der Untergrund ist hier tückisch. Da kann man sich schnell den Knöchel verrenken. Und wir haben auch so schon genug Probleme. Da ist die Bahnlinie. Und drüben rechts das alte Bahnwärterhäuschen. Aber dort kann ich mich nicht verstecken, denn dort werden sie mich zuerst suchen. Ich muss weiter und einen Schlafplatz finden, wo sie nicht nachschauen werden.
Das wird nicht leicht.
Sie werden überall nachschauen.
Ich steige vorsichtig den Bahndamm runter, sehe mich um, überquere die Schienen, steige auf der anderen Seite wieder hoch und laufe weiter. Es wird kälter, Bigeyes. Das gefällt mir nicht. Es war eh schon sehr kalt, aber jetzt wirdâs noch frostiger. Am Morgen werden es sicher nicht mehr als zwei Grad sein, und es wird einige Stunden dauern, bis es wärmer wird.
Wenn überhaupt.
Ich laufe weiter durch die Wildnis. Mir ist ein Platz eingefallen, wo wir uns ausruhen können, Bigeyes. Und er ist nicht weit entfernt. Aber er ist schlecht, wirklich schlecht. Dort ist es nicht warm und wahrscheinlich nicht mal sicher. Das ist kein Platz zum Sterben. Aber welche Wahl haben wir jetzt noch?
Siehst du den Zaun um die Baustelle? Lauf hin, bleib davor stehen und spähe durch. Sieht aus wie ein Trümmerfeld, was? Da soll ein
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