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Lauf, so weit du Kannst!

Lauf, so weit du Kannst!

Titel: Lauf, so weit du Kannst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bowler
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und lausche wieder. Nur der Fernseher, wie vorhin. Jetzt die letzte Treppe rauf. Da sind auch Bücher, siehst du? In den Schränken links und rechts der Tür.
    Romeo und Julia .
    Das Buch habe ich gelesen, als ich das letzte Mal hier war. Es steht noch am selben Platz im Regal.
    Oliver Twist .
    Das habe ich auch schon gelesen. Aber nicht hier.
    Ich drücke die Tür auf.
    Alles wie immer. Dasselbe schmuddelige Loch. Aber es steht ein Bett drin. Und das Bett hat eine Matratze und ein Kissen. Am liebsten würde ich mich sofort flachlegen. Aber zuerst muss ich was essen. Ich lasse mich aufs Bett plumpsen, greife nach der Pastete und stopfe sie in mich rein. Dann verschlinge ich die Äpfel und trinke das Mineralwasser.
    Nun kann ich mich endlich hinlegen. Ich versuche zu schlafen, aber es klappt nicht.
    Ich kann nicht einschlafen.
    Ich sehne mich so nach Schlaf, Bigeyes. Ich will vergessen, nur für eine Weile. Aber ich kann nicht. Ich kann nicht einschlafen, nicht vergessen. Und weißt du was? Manchmal kann ich nicht mal vergessen, wenn ich schlafe. Die Bilder verfolgen mich im Traum.
    Die Gesichter, die Dinge, die ich getan habe.
    Meinst du, dem Mistkerl passiert das auch? Dass ihn Bilder verfolgen? Kommt es jemals vor, dass ihm was unter die Haut geht – zumindest einen kurzen Augenblick lang? Vermutlich nicht. Er ist wie alle anderen Killer. Er führt ein Doppelleben. Wahrscheinlich hat er irgendwo eine Frau, die Marmelade kocht und denkt, er sei Versicherungsvertreter.
    Ich habe schon viele von seiner Sorte gesehen. Er ist einer von der alten Garde. Kein hohes Tier. Höher als Paddys Schläger, aber trotzdem nur ein kleiner Fisch, eine Marionette. Er kennt wahrscheinlich nur den Kontaktmann, der ihn bezahlt. Aber nicht den Boss, für den er die Drecksarbeit erledigt.
    Es werden viel Schlimmere kommen.
    Aber warum verfolgen mich meine Bilder? Und warum hat sich alles verändert? Warum konnte ich weder Paddy noch diesen Mistkerl töten, aber all die anderen davor schon? Warum lässt mich das nicht mehr kalt? Das ist die Frage, die mich jetzt quält, Bigeyes. Warum lässt mich das nicht mehr kalt?
    Ich schließe die Augen.
    Aber ich kann trotzdem nicht einschlafen. Vielleicht sollte ich lesen. Das beruhigt normalerweise meinen Kopf, außer wenn die Erinnerungen mir zu heftig zusetzen. Aber ich muss schlafen. Ich muss mich ausruhen. Denn morgen muss ich wieder flüchten. Ich muss kräftig genug sein, um mich abzusetzen.
    Wenn ich lese, hält mich das vom Schlafen ab.
    Außerdem kenne ich die Bücher der Alten. Sie hat nicht die Art von Geschichten da, nach denen mir jetzt wäre. Solche wie die, die ich letztes Jahr gelesen habe. Ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß. Ich habe es in einer Hütte in der Südstadt gefunden. Es war ein Kinderbuch mit so feinen Zeichnungen drin. Über einen Jungen, der sich an Bord eines Schiffes geschmuggelt hat.
    Ist das nicht komisch, Bigeyes? Ich habe einen Horror vor Wasser, aber ich liebe Geschichten über das Meer.
    Jedenfalls schmuggelt der Junge sich an Bord dieses Schiffes, wird entdeckt und muss seine Überfahrt abarbeiten. Aber er ist ein netter Kerl und freundet sich mit dem Kapitän an. Dann geraten sie in einen schweren Sturm. Die Besatzung setzt sich mit den Rettungsbooten ab, weil das Schiff zu sinken droht. Aber sie vergessen den Jungen.
    Das ist aber gar nicht so schlimm, Bigeyes. Weißt du, warum? Weil der Kapitän auch an Bord geblieben ist, sodass der Junge nicht allein ist. Er fühlt sich nicht verlassen. Er hat einen Freund bei sich, einen großen, starken Freund, der sich um ihn kümmern wird, egal was passiert. Selbst wenn sie ertrinken, ist ein Freund bei ihm.
    Aber sie ertrinken nicht.
    Ein Rettungsboot kommt gerade noch rechtzeitig und bringt sie an Land zurück.
    Ich bin so müde, Bigeyes. Ich bin es leid, ständig zu fliehen, allein zu sein und Angst zu haben. Als wäre ich auch auf einem sinkenden Schiff, aber ohne einen Kapitän, der sich um mich kümmert. Und es kommt auch kein Rettungsboot, um mich heimzubringen.
    Ich habe nur das hier.
    Einen Raum unter dem Dach im Haus einer Fremden.
    Aber ich spüre, dass ich allmählich doch schläfrig werde. Wenigstens das. Eine schöne, warme Dunkelheit hüllt mich ein. Ich sterbe im Kopf, Bigeyes. Ich bin fertig. Ich will nur noch in einen tiefen Schlaf sinken und für eine Weile sicher sein.
    Und ich schlafe

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