Lauf, wenn du kannst
gegenüber nicht erwähnt, Mrs Gagnon?«
»Nein.«
»Oh, ich verstehe. Tja, in Anbetracht von Nathans Symptomen – Fieber, Erbrechen, Wachstumsverzögerung, zurückgebliebene motorische Entwicklung und nun die offensichtliche hepatische Glykogenose, die Galaktoseintoleranz und eine nicht auf Medikamente ansprechende Hypophosphatemie – ging er zunehmend von einem bestimmten Syndrom aus. Also bat er mich, bei Nathan eine gründliche Chromosomenanalyse durchzuführen.«
»Glykogenose?«, wiederholte Catherine stockend. »Galaktoseintoleranz? Ich habe keine Ahnung, was das sein soll.«
»Dr. Rocco hat Nathan auf Lebensmittelallergien behandelt, richtig? Er hat Sie gebeten, Milchprodukte durch Soja zu ersetzen, und ansonsten eine Diät, bestehend aus kleinen Mahlzeiten mit niedrigem Zucker- und Kohlenhydratgehalt, verordnet, wie in einem Fall von Diabetes mellitus?«
»Er dachte, Nathan könnte allergisch gegen Milch sein. Außerdem ist sein Blutzuckerspiegel zu hoch, weshalb er eine Diät mit viel Proteinen und wenig Kohlenhydraten halten muss.«
»Richtig, darauf weisen die Aufzeichnungen hin. Doch wie Sie selbst feststellen konnten, hat sich Nathan auch nach einem Jahr mit dieser Diät nicht besser entwickelt. Die Tests zeigen, dass sein Blutzuckerspiegel steigt, was zu einer Ansammlung von Glykogen in Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren führt ...«
»Sein Zustand bessert sich nicht«, stimmte Catherine zu. »Mrs Gagnon, Nathan leidet nicht an einer Lebensmittelallergie, sondern an einer Mutation des GLUT2-Gens. Genauer gesagt handelt es sich um eine seltene, aber gut erforschte Erkrankung namens Fanconi-Bickel-Syndrom.«
Catherine schnappte nach Luft. »Sie wissen, was ihm fehlt? Sie wissen, was mein Sohn hat?«
»Ja. Aufgrund eines genetischen Defekts ist der Stoffwechsel Ihres Sohnes nicht zur korrekten Verarbeitung von Glukose und Galaktose ...«
»Galaktose?«
»Milchzucker. Deshalb war es eindeutig richtig, Nathan keine Milchprodukte mehr zu geben. Allerdings bleibt die Tatsache bestehen, dass sich in seinen Nieren zu viel Zucker ansammelt, was zu einer Reihe von Problemen führen kann. Einschließlich einer Nierenerkrankung, wenn wir nicht bald mit der richtigen Behandlung beginnen.«
»Es gibt eine richtige Behandlung? Man kann etwas gegen dieses Fanconi-Bickel-Ding tun?« Catherines Augen leuchteten fast fiebrig.
»Fanconi-Bickel ist unheilbar, Mrs Gagnon«, erwiderte Dr. Iorfino geduldig. »Aber da nun eine Diagnose vorliegt, können wir mit einer geeigneten Diät beginnen, die einen Großteil von Nathans Beschwerden lindern wird. Und wenn man die Erkrankung richtig behandelt, kann Ihr Sohn ein mehr oder weniger normales Leben führen.«
»O mein Gott«, stieß Catherine hervor. »O mein Gott.« Sie schlug die Hand vor den Mund und betrachtete den Arzt mit wildem Blick. Dann starrte sie Bobby an und brach schließlich in Tränen aus. »Er wird gesund. Endlich, endlich, nach all den Jahren ... Danke«, schluchzte sie, an Dr. Iorfino gewandt. »So viele Untersuchungen, Fragen und Zweifel ... Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie schön es ist, endlich Gewissheit zu haben.«
Dr. Iorfino errötete. »Tja, da müssen Sie sich nicht bei mir bedanken. Dr. Rocco hat die Detektivarbeit geleistet. Eine ausgezeichnete Analyse, das muss ich sagen. Fanconi-Bickel kommt ausgesprochen selten vor und tritt hierzulande kaum auf.«
»Ein genetischer Fehler«, murmelte Catherine und wischte sich die tränennassen Augen ab. »Zufall und Pech. Wer wäre auf so etwas gekommen?«
Doch Dr. Iorfino runzelte die Stirn. »Fanconi-Bickel kann man nicht unbedingt als Zufall bezeichnen, Mrs Gagnon. Der Erbschaden wird hauptsächlich bei Männern festgestellt.« Und dann fügte er in sachlichem Ton hinzu: »Und zwar in Familien, in denen es in der Vergangenheit zu Inzest gekommen ist.«
Im ersten Moment saß Catherine stocksteif und wie versteinert da und schien nicht zu wissen, was sie mit dieser Nachricht anfangen sollte. Ganz im Gegensatz zu Bobby, für den sich die Mosaiksteinchen endlich zu einem sinnvollen Bild zusammenfügten.
»Aber Jimmy und ich waren nicht verwandt«, protestierte Catherine. »Meine Familie stammt aus Massachusetts, seine aus Georgia. Wir beide kannten unsere leiblichen Eltern. Unmöglich ...«
»Sie müssen nicht bei sich suchen«, sagte Bobby.
Immer noch verdattert, sah Catherine ihn an. »Bei wem sonst?«
»Den Gagnons. Dem Richter und seiner Frau. Aus diesem
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