Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
bestehen.
    Nie würde er sich dem stellen müssen, was er getan hatte. Er würde nicht der Mann sein müssen, durch dessen Hand der Schuss gefallen war. Mein Gott, das Leben kotzte ihn an!
    Bobby stand auf und ging ins Bad, wo ihm klar wurde, dass er seit acht Uhr gestern Abend keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, die Toilette aufzusuchen. Nachdem er eine Ewigkeit gepinkelt hatte, zog er sich an, holte seine Ersatzkleider aus der untersten Schublade, wo er sie aufbewahrte, und verstaute alles lautlos in seinem Rucksack.
    An der Schlafzimmertür blieb er stehen und betrachtete Susans rosige Wangen und ihren goldenen Wuschelkopf. Ein unbeschreiblicher Schmerz überkam ihn. Eigentlich dachte Bobby nur noch selten an seine Mutter, aber wenn es doch geschah, dann meistens in Momenten wie diesem. Wenn er etwas wollte, von dem er wusste, dass es unerreichbar für ihn war. Wenn er sich ein wenig verunsichert, unfertig und wie ein ewiger Außenseiter und unbeteiligter Beobachter fühlte.
    Er erinnerte sich daran, wie die Frau gestern Nacht ihr Kind an sich gedrückt hatte. Den Kopf des kleinen Jungen an ihre Brust gedrückt, die Hände fest über seinen Ohren. Und er ertappte sich bei der angsterfüllten, bedrückenden Frage, ob seine Mutter je dasselbe getan hatte.
    Um zwei Uhr nachmittags an einem hellen, sonnigen Tag, wenn er eigentlich auf der Jagd nach Rasern, Betrunkenen oder hilfsbedürftigen Autofahrern über die I-93 hätte rollen und den Alltag hätte leben sollen, der ihn schon seit Jahren bestimmte, stand Bobby auf der Türschwelle des Schlafzimmers seiner Freundin und spürte, wie in ihm etwas zerriss. Es war ein scharfes Stechen, das tatsächlich körperlich wehtat.
    Und dann war das Schlimmste vorbei, und nur ein bereits nachlassendes Ziehen blieb, das Echo eines Phantomschmerzes, ein leises Trauern um das, was hätte sein können. Damit konnte er leben. Schließlich tat er das schon seit Jahren.
    Bobby ging.
    Als die Eingangstür hinter ihm ins Schloss fiel, schlug Susan die Augen auf und bemerkte, dass das Bett neben ihr leer war. Sie rief seinen Namen, aber er war bereits draußen im Flur, zu weit entfernt, um sie zu hören.
     
    Die L-Street-Tavern war eine Kneipe vom alten Schlag, die noch von den Tagen verqualmter Schankräume und alkoholgeschwängerter Dartsturniere zeugte, von einer Zeit also, als Kneipen noch nicht rauchfreie, familienfreundliche Zonen und Schauplätze beliebter Fernsehcomedys gewesen waren. Viele Polizisten verkehrten hier. Stammgäste ebenfalls. Es war eine Kneipe, in der ein Mann endlich seine Ruhe hatte.
    Außerdem ging es heute, an einem Freitagabend, hoch her. Bobby befürchtete schon, keinen Sitzplatz zu finden, aber dann erkannte ihn Walter Jensen von der Bostoner Polizei, der am anderen Ende des dämmrigen Raums stand, und rutschte sofort von seinem Barhocker. »Bobby, alter Junge! Beweg deinen Arsch hier rüber! Setz dich, und fühl dich wie zu Hause. Hey, Gary, Gary, Gary, ich gebe diesem Mann ein Bier aus!«
    »Cola«, erwiderte Bobby ganz reflexartig, während er sich zu dem zerkratzten Holztresen durchschlängelte. Inzwischen drehten sich dort einige Gäste nach ihm um. Manche kannte Bobby, andere nicht. Hinter dem Tresen hatte Gary bereits angefangen, ein Killian’s einzuschenken.
    »Bier«, entgegnete Walter streng. »Der Piepser braucht dich nicht zu interessieren, Bobby. Schon vergessen? So lange du suspendiert bist, kann dir das Ding mal im Mondschein begegnen. Also setz dich hin, entspann dich, und trink einen Schluck.«
    »Stimmt«, meinte Bobby beinahe überrascht. »Du hast Recht.«
    Also trank Bobby ein Bier. Ausgegeben von Walt, der ihm zu seinem Erfolg gratulieren wollte.
    »Ich hab die Info direkt von der Quelle – Lieutenant Jachrimo höchstpersönlich. Du hast getan, was du tun musstest. Und das auch noch durch eine Glasscheibe. Verdammt, Bobby, das war wirklich ein toller Schuss.«
    Dann mischte sich Donny, ebenfalls von der Bostoner Polizei, ein. Er verhalf Bobby zu einem neuen Glas Bier und musste natürlich auch seinen Senf dazugeben.
    »Das beweist wieder mal, dass Geld nicht glücklich macht. Walt, wie oft waren wir schon bei diesen Leuten? Dreimal, viermal, fünfmal? Nur schade, dass wir die Party verpasst haben.«
    Da erinnerte sich Bobby endlich, dass Walt und Donny auch dem Sondereinsatzkommando der Bostoner Polizei angehörten. »Wie ist es denn in Revere gelaufen?«, fragte er. »So wie immer«, erwiderte Donny. »Ein Typ hat das Dach seines

Weitere Kostenlose Bücher