Lauf, wenn du kannst
Verhalten war nichts weiter als eine Reaktion auf seines. Und ich habe reagiert. Der Rest spielt keine Rolle mehr. Warum soll ich mich also damit zermürben?«
Wieder lächelte Elizabeth. Sie fand Bobby Dodge sympathisch. Obwohl sie seit Jahren nicht mehr mit einem so komplizierten und vielschichtigen Rechtfertigungsmuster zu tun gehabt hatte, mochte sie Bobby Dodge.
»Sport?«, fragte sie. »Haben Sie sich heute sportlich betätigt?«
»Nein. Ich habe mir überlegt, ob ich joggen gehen soll, aber da überall mein Foto hing ...«
»Ich verstehe. Gut, das ist Ihre Aufgabe für das Wochenende. Sie müssen sich mehr um Ihre Gesundheit kümmern, denn erst dann können Sie sich mit Ihren Gefühlen auseinander setzen. Gibt es jemanden, zu dem Sie gehen können? Ihren Vater vielleicht oder Ihren Bruder? Einen Ort, um sich zurückzuziehen und auszuruhen?«
»Meine Freundin.«
»Und sie kommt damit zurecht?«
»Ich weiß nicht. Wir hatten noch nicht die Zeit, richtig darüber zu reden.«
»Tja, angesichts der Ereignisse brauchen Sie ein gutes Unterstützernetzwerk. Also würde ich an Ihrer Stelle mit ihr darüber sprechen.« Elizabeth beugte sich vor. »Die Sache letzte Nacht war ein ernsthafter Zwischenfall, Bobby. Es wird länger als vierundzwanzig Stunden dauern, ihn zu verarbeiten, und deshalb sollten Sie es schrittweise angehen. Essen Sie drei ausgewogene Mahlzeiten am Tag, und versuchen Sie, nachts durchzuschlafen. Wenn Sie sich angespannt oder innerlich unruhig fühlen, treiben Sie ein wenig Sport, um Dampf abzulassen. Aber seien Sie auf der Hut. Es ist eine Gratwanderung, ob man zehn Kilometer läuft, um zu entspannen, oder ob man hundert Kilometer bis zur Erschöpfung rennt, damit die Gedanken endlich aufhören, sich zu drehen. Und diese Grenze sollten Sie immer im Auge behalten.«
»Ich verspreche, nicht mehr als neunundneunzig Kilometer zu laufen«, erwiderte er.
»Also gut. Dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.«
»War das alles? Essen, schlafen, Sport treiben, und dann bin ich geheilt? Kann ich nächste Woche wieder zur Arbeit?«
»Essen, schlafen, Sport treiben und das Gespräch fortsetzen«, verbesserte sie ihn mit einem nachsichtigen Schmunzeln. »Aber heute Abend ist es zu spät dafür, und vielleicht brauchen Sie auch noch mehr Zeit, um sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Wenn Sie plötzlich das Bedürfnis haben, zu reden, können Sie mich anrufen. Ansonsten sehen wir uns am Montag. Was halten Sie von fünfzehn Uhr?«
Er zuckte die Schultern. »Da ich nicht zur Arbeit darf, habe ich mehr freie Zeit als genug.«
»Ausgezeichnet.« Sie stand auf. Er folgte ihrem Beispiel. Allerdings hastete er, anders als sie erwartet hatte, nicht sofort zur Tür, sondern blieb, einen verlorenen Ausdruck auf dem Gesicht, stehen.
»Manchmal«, begann er unvermittelt, »manchmal, wenn ich darüber nachdenke, was passiert ist, werde ich ziemlich wütend. Nicht auf mich selbst, sondern auf den Mann, weil er auf seine Frau und sein Kind losgegangen ist und mich gezwungen hat, ihn zu erschießen. Ist das nicht komisch? Man tötet einen Mann und hasst ihn dann dafür?«
»Ich würde sagen, dass diese Reaktion völlig normal ist.« Er nickte zwar, doch die verdatterte Miene blieb. »Darf ich Sie noch etwas fragen? Nur so ein allgemeines Psychoproblem.«
»Nur zu, ich psychologisiere nämlich gern.«
»Wir werden häufig in Fällen von häuslicher Gewalt gerufen. So etwa drei bis vier Mal pro Woche stehe ich in irgendeinem Garten, während die Frau den Mann anbrüllt oder umgekehrt. Und eines ist mir in Situationen wie diesen immer klar – wir werden wiederkommen müssen. Ganz gleich, wie sehr diese beiden Menschen auch aufeinander herumhacken, sie bleiben unweigerlich zusammen. Und wenn man ein bisschen grob mit dem Kerl umgeht und ihn zum Beispiel unsanft in den Streifenwagen verfrachtet, fällt in neun von zehn Fällen die Frau, also dieselbe, die vorhin die Polizei angerufen hat und noch die Spuren der Faust dieses miesen Typen im Gesicht trägt, über uns her, weil wir ihrem Mann wehtun.«
»Gewalt in der Beziehung ist eine sehr komplizierte Angelegenheit«, stimmte sie zu, während sie sich fragte, worauf er hinauswollte.
»Also ist es doch seltsam, wenn sich eine Frau, deren Mann man gerade umgebracht hat, sich dafür bei einem bedankt
Elizabeth hielt inne. »Diese Reaktion kommt wirklich selten vor.«
»Das fand ich auch.«
»Aber es muss nicht
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