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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Patient sei, sondern nur mit Dr. Rocco sprechen wolle. Das stürzte die Frau in arge Verwirrung, worauf er ihr seine Dienstmarke hinhielt und sich als Polizist vorstellte. Damit gelang es ihm endlich, ihr eine Reaktion zu entlocken, denn sie sprang von ihrem Stuhl auf und hastete, auf der Suche nach dem großen Dr. Rocco, den Flur entlang.
    Bobby wusste nicht, ob er sich freuen oder schämen sollte. Eigens für diesen Anlass hatte er eine Khakihose, ein Oberhemd und sein bestes Sakko angezogen und sich als Detective von der Mordkommission verkleidet – ein Beweis dafür, dass selbst Staatspolizisten offenbar zu häufig vor dem Fernseher saßen.
    Vor sechs oder sieben Jahren hatte Bobby mit dem Gedanken gespielt, die Uniform eines Streifenpolizisten an den Nagel zu hängen und als Detective zur Kriminalpolizei zu gehen. Polizisten in Uniform galten als die kleinsten Rädchen im Getriebe, als Kanonenfutter, was selbst auf eine so elitäre Truppe wie die Staatspolizei zutraf. Detectives benutzten ihren Verstand, Streifenpolizisten führten Befehle aus. Bobby habe doch den nötigen Grips, hatte sein Sergeant ihn gedrängt. Warum also wolle er den Rest seines Lebens in einem Streifenwagen herumkurven?
    Bobby war noch immer unentschieden, als erhörte, dass in der STOP-Einheit eine Stelle frei geworden war. Er reichte seinen Lebenslauf ein und unterwarf sich dem strengen Auswahlverfahren. Er musste Bewerbungsgespräche bestehen, sein Geschick im Umgang mit verschiedenen Spezialwaffen beweisen und hohe körperliche Anforderungen erfüllen. Danach kamen die Sonderaufgaben. Man ließ die Bewerber an Seilen baumeln, um festzustellen, ob sie an Höhenangst litten, setzte sie starkem Qualm aus, damit man sah, wie sie unter extremem Stress reagierten, quälte sie mit starker Kälte und Hitze und befahl ihnen, mit vierzig Kilogramm Ausrüstung durch den Schlamm zu robben und bis zu drei Stunden lang reglos in einer Stellung zu verharren. Dabei wurden ihnen immer wieder dieselben Leitsätze eingehämmert: Ein taktisches Team konnte jederzeit überall eingesetzt werden. Und zwar in jeder beliebigen Situation und unter allen vorstellbaren äußeren Bedingungen. Deshalb musste man schnell denken, laufen und reagieren können und durfte keine Angst kennen. Wer das Auswahlverfahren überstand, hatte anschließend die Ehre, vier Tage monatlich der Ausbildung widmen, sämtliche Nächte und Wochenenden opfern und sieben Tage pro Woche rund um die Uhr in Rufbereitschaft sein zu dürfen. Und all das ohne auch nur einen Cent zusätzliche Bezahlung. Der taktischen Einheit beizutreten, war eine reine Frage des Stolzes. Man wollte zu den Besten gehören und wissen, dass man als Team – und als Einzelner – jede Krisensituation bewältigen konnte.
    Bobby hatte den Einstellungstest bestanden, die offene Stelle bekommen und seine Entscheidung nie bereut. Er war ein guter Polizist und diente in einer Eliteeinheit. Zumindest hatte er das bis vor zwei Tagen geglaubt.
    Mit geröteten Wangen und atemlos kehrte die Empfangsdame zurück.
    »Dr. Rocco hat jetzt Zeit für Sie.«
    Im Wartezimmer stimmte ein Kleinkind ein erneutes Protestgeheul an. Erleichtert flüchtete sich Bobby durch die angrenzende Tür.
    Dr. Rocco saß in einem kleinen Büro auf halber Höhe des Flurs. Sein Schreibtisch ächzte unter Aktenbergen, und die Wände waren mit Kinderzeichnungen und Impfplänen zugepflastert. Bobby fielen sofort einige Dinge auf. Erstens war Dr. Rocco schätzungsweise Ende Dreißig bis Anfang Vierzig, also jünger, als er ihn sich vorgestellt hatte. Und zweitens hätte Bobby nicht erwartet, dass der Arzt so gut aussah: Dr. Rocco hatte dichtes dunkles Haar und einen athletischen Körperbau und verströmte einen aalglatten Countryclub-Charme. Außerdem las Dr. Rocco offenbar den Boston Herald, denn er wusste genau, wer Bobby war.
    »Ich habe einige Fragen zu Nathan Gagnon«, begann Bobby.
    Zunächst schwieg Dr. Rocco und musterte Bobby nur abschätzend. Wunderte er sich, woher Bobby den Mut nahm, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen? Oder überlegte er, ob er sich auf die ärztliche Schweigepflicht berufen sollte? Endlich hob Dr. Rocco wieder den Blick, und Bobby erkannte einen Ausdruck in seinen Augen, mit dem er gar nicht gerechnet hatte: Angst.
    »Nehmen Sie Platz«, meinte der Arzt schließlich, wies auf einen mit Papieren zugepflasterten Stuhl und griff, ein wenig verspätet, nach dem Stoß. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Soweit ich

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