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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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informiert bin, sind Sie Nathan Gagnons behandelnder Arzt«, sagte Bobby.
    »Ja, seit dem letzten Jahr. Nathan wurde von einer Kollegin, Dr. Wagner, an mich überwiesen, weil sie mit ihm nicht weiterkam.«
    »Leidet Nathan an einer Krankheit?«
    »Offiziell gilt er als entwicklungsgestört.«
    »Was genau ist darunter zu verstehen?« Bobby förderte einen kleinen Spiralblock und einen Stift zutage.
    »Er gedeiht einfach nicht. Und zwar von Geburt an. Nathan liegt, was Körpergröße, Gewicht und die wichtigsten Eckpunkte der kindlichen Entwicklung betrifft, hinter seinen Altersgenossen zurück. Er entwickelt sich nicht ›normal‹.«
    Unsicher, ob er alles richtig verstanden hatte, runzelte Bobby die Stirn. »Der Junge ist zu klein?«
    »Tja, das ist eines der Probleme. Seine Körpergröße befindet sich mit fünfundachtzig Zentimetern am unteren Rand für einen Vierjährigen, und sein Gewicht – dreizehn Kilo – lässt sich gar nicht mehr statistisch erfassen. Allerdings ist die mangelnde Körpergröße nicht das einzige Symptom.«
    »Das müssen Sie mir näher erklären.«
    »Von Geburt an leidet Nathan an Erbrechen, Durchfall und Fieberattacken. Außerdem macht er einen unterernährten Eindruck. Er hatte bereits Rachitis, seine Blutphosphatwerte sind zu niedrig, und dasselbe gilt für den Blutzuckerspiegel. Wie bereits gesagt, ist er auch in Bezug auf alle anderen für die Entwicklung wichtigen Eckdaten zurückgeblieben. Er hat sich erst mit elf Monaten zum ersten Mal aufgesetzt, mit achtzehn Monaten die ersten Zähne bekommen und konnte erst mit sechsundzwanzig Monaten laufen. All das ist kein gutes Zeichen. Außerdem scheint sich sein Zustand im letzten Jahr verschlimmert zu haben. Er hat zwei Anfälle von akuter Bauchspeicheldrüsenentzündung und zwei Knochenbrüche erlitten, und er gedeiht einfach nicht.«
    Bobby blätterte eine Seite in seinem Notizblock um. »Befassen wir uns mit den Knochenbrüchen. Ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich ein Vierjähriger innerhalb eines Jahres zwei Mal etwas bricht?«
    »Nicht bei einem Patienten wie Nathan.«
    »Was soll das heißen?«
    »Nathan leidet an Hypophosphatemie – verringerten Phosphatwerten. Da bei ihm noch eine Rachitis hinzukommt, sind seine Knochen ungewöhnlich brüchig, so dass es leicht zu Verletzungen kommt. Ich möchte hinzufügen, dass er außerdem zu Blutergüssen neigt.«
    Bobby blickte überrascht auf. »Warum sagen Sie das?«
    »Deshalb sind Sie doch hier, oder? Sie wollen herausfinden, ob Nathan misshandelt wurde. Um sich selbst zu beweisen, dass Sie den Richtigen getötet haben. Was mich betrifft, finde ich, dass Sie Ihre Sache gut gemacht haben«, fügte Dr. Rocco leise hinzu.
    Bobby runzelte die Stirn. Er hatte nicht damit gerechnet, dass das Gespräch eine solche Wendung nehmen würde, und fühlte sich von der Direktheit seines Gegenübers überrumpelt, was ihm gar nicht gefiel.
    »Glauben Sie, dass Nathan misshandelt wurde?«, erkundigte er sich barsch.
    »Es gibt viele Möglichkeiten, einem Kind wehzutun«, erwiderte Dr. Rocco.
    »Hat jemand Nathan die Knochen gebrochen?«
    »Nein, daran war die Rachitis schuld. Das konnte ich an den Röntgenaufnahmen erkennen.«
    Bobby lehnte sich zurück. Dr. Roccos Antworten brachten ihm keine Klarheit, sondern warfen nur weitere Fragen auf. »Was also fehlt dem Kleinen? Warum ist er ständig krank?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Genau das will die Diagnose Entwicklungsstörungen eigentlich besagen – dass wir im Dunkeln tappen. Da wir keinen genauen Grund erkennen können, wird der Zustand des Jungen unter dem allgemeinen Begriff Entwicklungsstörung zusammengefasst.«
    »Aber Sie müssen doch einige Untersuchungen durchgeführt haben.«
    »Natürlich. Wir haben mit den üblichen Tests angefangen – großes Blutbild, Bleiwerte, Urinanalyse, Elektrolytewerte. Außerdem haben wir ihn auf Diabetes, Sodbrennen? Absorbtionsstörungen und zystische Fibrose untersucht. Einer der besten Endokrinologen des Landes hat abgeklärt, dass weder eine Schilddrüsenerkrankung noch Stoffwechsel- oder Hormonstörungen im Spiel sind. Dann hat sich ein Nephrologe mit Nathans Nieren befasst und weitere Tests im Hinblick auf Elektrolyte, Diabetes und Anämie durchgeführt. Ich habe Nathan untersucht, mich eingehend mit ihm beschäftigt und ihn zu den besten Fachleuten geschickt, die ich kenne. Medizinisch fehlt Nathan Gagnon nicht das Geringste – abgesehen davon, dass er sehr schwer

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