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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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gehen Sie davon aus, dass ich das sein werde. Allerdings wurden mir heute Morgen Gerichtsakten zugestellt: James und Maryanne wollen das Sorgerecht für Nathan einklagen. Sie behaupten, dass ich vorhabe, ihn umzubringen. Können Sie sich das vorstellen, Officer Dodge? Eine Mutter, die ihrem eigenen Sohn etwas antut?«
    Sie trat auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen, näher als es bei Fremden normalerweise üblich ist. Wieder stieg ihm ihr Parfüm in die Nase, und er bemerkte die Kuhle an ihrem blassen, schlanken Hals und das lange schwarze Haar, das ihr wie ein üppiger Vorhang über den Rücken fiel und ebenso sinnlich wirkte wie der blaue Stoff auf dem Porträt von Whistler.
    Obwohl sie sich weder bewegte noch ein weiteres Wort von sich gab, verspürte Bobby den Wunsch, sie zu berühren. Sie hatte etwas an sich, das ihn als Mann ansprach und ihn förmlich anflehte, sie besitzen zu wollen. Sie spielte mit ihm und setzte ihren Körper absichtlich als Waffe ein, um ihm, dem armen, vertrottelten Staatspolizisten, den Kopf zu verdrehen. Und das Seltsame daran war, dass Bobby, obwohl er das genau wusste, versucht war, einen Schritt nach vorne zu machen und sie an sich zu pressen.
    »Mein Sohn ist im Krankenhaus«, murmelte sie.
    »Was?«
    »Er liegt auf der Intensivstation. Bauchspeicheldrüsenentzündung. Das mag für Sie nicht weiter lebensbedrohlich klingen, aber bei einem Jungen wie Nathan kann es verhängnisvolle Folgen haben. Mein Sohn ist krank, Officer Dodge, sehr krank, und die Ärzte finden die Ursache nicht. Deshalb geben meine Schwiegereltern mir die Schuld. Und wenn sie es schaffen, glaubhaft zu vermitteln, dass ich für die Krankheit meines Sohnes verantwortlich bin, können sie ihn mir wegnehmen. Dann haben sie ihren Enkel – und das Geld – für sich. Außer, Sie helfen mir.«
    Bobby ließ den Blick ihren Körper hinuntergleiten. »Und warum sollte ich Ihnen helfen?«
    Sie lächelte. Es war ein sehr weibliches Lächeln, aber zum ersten Mal konnte Bobby den Anflug eines Gefühls in ihren Augen erkennen. Sie war traurig.
    »Wir brauchen einander«, erwiderte sie leise. »Denken Sie an die Anhörung ...«
    »Sie wissen davon?«
    »Natürlich. Die beiden Anträge gehören zusammen, Officer Dodge. Die Sorgerechtsklage stellt die Grundlage der Anhörung dar. Wenn ich Nathan misshandle, sind Sie ein Mörder.«
    »Ich habe niemanden ermordet.«
    Ihre Finger huschten über seine Brust. »Selbstverständlich nicht. Ebenso wenig wie ich auch nicht im Traum daran denken würde, meinem Sohn Schaden zuzufügen.« Sie beugte sich näher heran, sodass ihr Atem seine Lippen streifte. »Vertrauen Sie mir etwa nicht, Officer Dodge? Das sollten Sie aber. Mir bleibt nämlich nichts anderes übrig, als Ihnen zu vertrauen.«
     
    Bobby musste an die frische Luft. Er verließ das Museum, fuhr mit dem Taxi nach Hause und stand dann wie ein Idiot mitten in seinem Wohnzimmer herum. Zum Teufel damit. Er ging joggen.
    Die G Street hinunter bis in die Columbia Road. Dann in Richtung Park, wo links von ihm der Verkehr vorbeidröhnte und wo rechts der Ozean lag. Von der Heights Street in die Point Street, vorbei am historischen Badehaus in der L Street, wo die ordentlichen zweigeschossigen Häuser allmählich von gewaltigen Villen abgelöst wurden. Als er Castle Island erreichte, peitschte der Wind ihm ins Gesicht, und das Meer schlug ans Ufer. Das Wetter hier war rau. Der Wind hatte eine fast körperliche Präsenz und stemmte sich ihm entgegen, als er weiterlief. Bobby kämpfte sich zur Steinmauer des alten Aussichtspunkts durch und beobachtete, wie die Flugzeuge am Logan-Airport langsam in den Himmel aufstiegen und im ersten Moment aussahen, als würden sie mit ihren Bäuchen die Insel streifen. Außerdem gab es hier einen Spielplatz, und auf der Rutsche tollten in dicke Wintersachen eingemummte Kinder herum.
    Bobby setzte sich wieder in Bewegung. Der Wind trug melodisches Kinderlachen heran. Inzwischen zogen immer mehr junge Familien nach Südboston. Früher hatten hier die Arbeiterkinder gespielt, die aus den verschiedenen Sozialbausiedlungen zu Fuß nach Castle Island kamen. Mittlerweile gehörten die Eltern eher der Mittelschicht an, aber ihr Nachwuchs tobte noch genauso wild herum.
    Bobby machte sich auf den Heimweg. Sein Atem ging schwer, und der Nebel in seinem Kopf lichtete sich allmählich.
    Zu Hause angekommen, griff er nach den Gelben Seiten und erledigte, immer noch schweißtriefend, einige Anrufe. Beim dritten

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