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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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angefangen, ihn ebenfalls Pop zu nennen, bis der Name irgendwann hängen geblieben war. Diese Entwicklung hatte Bobby überrascht, denn er war sicher gewesen, dass sein eigentlich brummiger, abweisender Vater sich gegen diese Vertraulichkeit verwahren würde. Aber Larry stieß sich offenbar nicht daran und schien sich manchmal richtiggehend geschmeichelt zu fühlen. Bobby kam zu dem Schluss, dass alles im Leben einem stetigen Wandel unterworfen war. Und in gewisser Hinsicht versuchte Bobby ja selbst, sich zu verändern.
    »Mir ist nur Positives zu Ohren gekommen«, sagte Pop leise. »Du hast getan, was du tun musstest.«
    Bobby zuckte die Achseln. »Danke«, hätte zu schnoddrig geklungen, alles andere wäre ungnädig gewesen.
    »Bobby ...«
    »Ich weiß, ich hätte mir mehr Mühe geben sollen, dich zu erreichen«, fiel Bobby ihm ins Wort. »Es war nicht richtig, dass ich mich nicht gemeldet habe.«
    »Es liegt nicht daran ...«
    Rasch sprach Bobby weiter, um so viel wie möglich loszuwerden, bevor ihn der Mut verließ. »Ich glaube, es hat mich schlimmer erwischt, als ich gedacht hätte. Das heißt nicht, dass ich den Schuss bereue. Schließlich konnte ich nur auf das reagieren, was ich gesehen habe, und das hat mir gesagt, dass ich schießen muss. Aber der kleine Sohn des Typen war im Zimmer. Keine anderthalb Meter entfernt hat er gesessen, als ich seinem Vater die Rübe weggepustet habe. Jetzt muss der Kleine mit meiner Tat leben. Ich muss damit leben, und ich ...« Bobbys Stimme erstarb und klang zittriger, als ihm lieb war. Mein Gott, wie war er denn nur in diese Situation geraten?
    Diesmal versuchte Pop nicht, etwas zu erwidern.
    »Es geht mir sehr nah, Pop«, fuhr Bobby, inzwischen etwas ruhiger, fort. »Ich hätte das nie gedacht, aber es geht mir nah. Und letzte Nacht ... letzte Nacht habe ich mir ein Bier genehmigt.«
    Sein Vater antwortete nicht sofort. »Ich habe gehört, es war eher ein halbes Dutzend«, meinte er schließlich.
    »Ja, ja, du hast Recht. Eher fünf oder sechs.«
    »Hat es geholfen?«
    »Nein.«
    »Wie ging es dir heute früh?«
    »Miserabel.«
    »Und was machst du heute Abend?«
    »Das habe ich hinter mir. Es war ein Ausrutscher, und ich habe meine Lektion gelernt. Kommt nicht wieder vor.« Bobby konnte der Versuchung nicht widerstehen. »Und du?«, fragte er.
    »Ich war brav«, entgegnete Pop. »Ein Arschloch in der Familie ist genug, findest du nicht?«
    Bobby konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ja, ein Arschloch ist genug.«
    »Und Susan?«, brummte sein Vater. »Da du jetzt genug Zeit hast, könntest du sie mal zu Besuch mitbringen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was weißt du nicht, mein Sohn?«
    »Keine Ahnung ... eine ganze Menge.«
    »Komm mich besuchen, Bobby. Mit dem Auto ist es nur eine halbe Stunde. Wir könnten uns mal einen Nachmittag unterhalten.«
    »Das sollte ich wirklich tun.« Wie sie beide wussten, hieß das, dass es nie geschehen würde. Pop gab sich Mühe, Bobby gab sich Mühe, doch da war einfach zu vieles, was sie beide weder vergeben noch vergessen konnten.
    »Pop, ich muss aufhören.« Bobby sah eine kleine Menschentraube an der Bushaltestelle. Als eine ältere Frau ihn anstarrte, erwiderte er ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Hast du mit deinem Bruder gesprochen?«
    »Nein.«
    »Ich rufe ihn an. Wäre nicht schön, wenn er es aus den
    Nachrichten erfährt.«
    »Pop, George wohnt in Florida.«
    »Schon, aber solche Geschichten entwickeln manchmal ein Eigenleben.«
     
    Interessanterweise gelang es Bobby ausgerechnet im Krankenhaus nicht, jemanden auf sich aufmerksam zu machen.
    Nachdem er sich zehn Minuten am Empfang die Füße platt gestanden hatte, wurde er ungeduldig und ging hinüber zum Krankenhaus-Wegweiser, der neben dem Aufzug hing.
    Dr. Anthony J. Rocco hatte sein Büro im zweiten Stock. Bobby nahm die Treppe.
    Als er oben angekommen war, atmete er schwer. Er stand vor einem verglasten Wartezimmer voller Kinderspielzeug und rotznasiger Kleinkinder. Zwei der Kleinen weinten. Eines versuchte, sich ein Blechauto in den Schlund zu stopfen. »Kinderklinik Boston« stand auf dem Schild. Bobby beschloss, dass es wohl am besten war, hier anzufangen.
    Die Empfangsdame an der Theke würdigte ihn kaum eines Blickes, sondern schob ihm nur ein Aufnahmeformular und einen angeknabberten Bleistift hin, während sie, lautstark Gummi kauend, weiter telefonierte. Also musste Bobby warten, bis sie aufgelegt hatte, um ihr zu erklären, dass er kein

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