Lauf, wenn du kannst
krank ist.«
Das Gespräch gefiel Bobby immer weniger. Er ließ seinen Stift zwischen den Fingern kreisen, legte ihn weg und griff dann wieder danach. »Sie konnten Jimmy Gagnon nicht leiden«, sagte er geradeheraus.
»Ich bin ihm nie begegnet.« – »Nie?«
»Nie. Nathan ist zwei bis drei Mal monatlich zu mir in die Sprechstunde gekommen. Außerdem wurde er in den letzten sechs Monaten vier Mal in die Notaufnahme eingeliefert. Und trotzdem habe ich Jimmy Gagnon kein einziges Mal gesehen. Das verrät doch so manches.«
Bobby ließ das geschniegelte Äußere des Kinderarztes auf sich wirken. »Und wann haben Sie angefangen, mit Catherine ins Bett zu gehen?«
Der Mann sparte sich die Mühe, Empörung vorzuspiegeln. »Sie hatte etwas Besseres verdient als ihn.«
»Eine vernachlässigte Ehefrau?«
»Schlimmer.« Mit eindringlicher Miene beugte sich Dr. Rocco vor. »Sie stellen nicht die richtigen Fragen. Bei Nathan mag es medizinische Gründe dafür geben, dass er zu Blutergüssen neigt. Aber bei Catherine liegen diese eindeutig nicht vor.«
»Hat Jimmy sie misshandelt?«
»Ich habe die Verletzungen selbst gesehen.«
»Blau geschlagene Augen.«
»Eines musste man dem Kerl lassen. Er hat sie nie so verprügelt, dass es für Außenstehende sichtbar war. Im Studium kannte ich einige Typen wie Jimmy. Sie hielten es für stilvoller, ihre Freundinnen heimlich zu vermöbeln.«
»Sie hätten Anzeige erstatten können.«
»Ach, wirklich? Damit mich irgendein Polizist so anschaut wie Sie jetzt? Auch wenn ich nicht mit ihr geschlafen hätte, hätte allein der Umstand, dass ich scharf auf sie war, genügt doch, damit keiner Ihrer Kollegen mich ernstnimmt.«
»Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, sich Jimmy selbst vorzuknöpfen?«
»Ab und zu.«
»Und?«
»Einmal bin ich sogar zu ihm gefahren, als ich wusste, dass Catherine und Nathan nicht zu Hause sein würden. Ich habe an die Tür geklopft, aber es hat niemand aufgemacht.«
»Und Sie sind nicht zurückgekommen? Der Kerl schlägt die Frau, die Sie lieben, und Sie stehen vor dem leeren Haus und geben einfach auf?« Bobbys Tonfall war kalt.
»Was hätte ich Ihrer Ansicht nach denn tun sollen?«, zischte Dr. Rocco. »Ihn mit der Waffe bedrohen?«
Dieser Seitenhieb war Absicht gewesen. Doch Bobby zuckte nur die Achseln und gab dem Mann eine ehrliche Antwort. »Das hätte ich zumindest getan.«
Endlich hatte Dr. Rocco den Anstand, zu erröten. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf die Schreibtischplatte. »Ich habe ihr geraten, ihn zu verlassen«, meinte er schließlich.
»Und Sie hätten sie dann versorgt?« Bobby warf einen vielsagenden Blick auf die linke Hand des Arztes, die ein goldener Ring zierte.
Wieder ließ sich der gute Doktor nicht einschüchtern. »Ich hätte mich geehrt gefühlt.«
»Aber sie hat es nicht getan. Sie ist bei diesem Mistkerl geblieben.«
»Sie meinte, ich wüsste nicht, wovon ich redete. Wenn sie Jimmy verlassen würde, würde er ihr Leben zerstören und auch sonst jeden vernichten, der versuchte, ihr zu helfen.«
»Und Sie haben ihr geglaubt?«
»Nein. Ja. Ich weiß nicht. Ich kannte Jimmy Gagnon nicht persönlich, schon vergessen? Allerdings hatte ich einige Geschichten über ihn gehört. Dann, vor sechs Monaten, erfuhr Jimmy von unserer ... Beziehung.«
Bobby wartete ab.
»Am nächsten Tag stand ein Privatdetektiv bei mir auf der Matte und fragte mich über Nathan aus. Er legte eine unterschriebene Vollmacht von Jimmy vor, in der dieser die Herausgabe der Krankenakte seines Sohnes verlangte. Es dauerte keine zehn Minuten, bis mir klar wurde, worauf der Privatdetektiv herauswollte. Ihn interessierte, ob Nathans Zustand das Ergebnis von anhaltendem Nahrungsentzug oder einer anderen Form elterlicher Misshandlung sein könnte. Kurz gesagt vertrat er die Theorie, dass Nathans Krankheit von Catherine verursacht worden sein könnte.«
»Ist das möglich?«
»Ich glaube nicht.«
»Sie glauben nicht?« Bobby zog die Augenbrauen hoch. »Gerade haben Sie mir erklärt, dass der Kleine an einer schwer zu diagnostizierenden Krankheit leidet.«
»Solange keine eindeutige Ursache für Nathans Zustand vorliegt, darf ich nichts ausschließen. Selbstverständlich könnte ein Elternteil – oder alle beide – dem Kind die Nahrung verweigern. Möglicherweise tut ihm auch jemand etwas ins Essen oder beeinflusst ihn psychisch, damit er nichts zu sich nimmt. Als Arzt habe ich mit Catherine, Nathan
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