Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
schließen und sie von außen zunageln. Die optimale Lösung. Sie lief nach unten, um Prudence zu holen. »Ich brauche Ihre Hilfe«, wies sie das Kindermädchen knapp an. »Wir müssen ein wenig umräumen.«
    Prudence sagte nichts. Jahrelange Ausbildung, dachte Catherine. Jahrelange sündhaft teure britische Ausbildung.
    Sie gingen nach oben, wo Catherine mit Prudences Unterstützung die schwere, bemalte Kommode aus Pinienholz vor die zerbrochene Glastür schob. Auf dem Teppich waren noch Glassplitter. Und Blut. Prudence sah sich alles an, ohne einen Mucks von sich zu geben.
    Anschließend suchte Catherine unten im Wäscheraum nach dem Werkzeugkasten. Als sie anfing, Nägel in den äußeren Türrahmen zu schlagen, ergriff Prudence endlich das Wort.
    »Madam?«
    »Ich habe draußen jemanden gesehen«, erwiderte Catherine barsch. »Ein Mann, der herumlungerte. Vermutlich nur ein Reporter der Regenbogenpresse, der auf den großen Durchbruch hofft. Wie viel, glauben Sie, würden die Zeitungen für eine detailgetreue Aufnahme des Tatorts in Back Bay wohl bezahlen? Ich will nicht, dass jemand von dieser Tragödie profitiert.«
    Prudence schien mit dieser Erklärung zufrieden.
    »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken«, fügte Catherine nach einer Weile hinzu. »Es war eine schreckliche Zeit, und Sie haben sicher ein unmögliches Bild von uns bekommen. Aber Sie waren für Nathan da, und ich weiß das sehr zu schätzen. Er braucht Sie. Vor allem angesichts der jüngsten Ereignisse.«
    »Geht es Nathan besser?«
    »Morgen kommt er wahrscheinlich nach Hause.« Sie hatte einen neuen Einfall. »Wenn er sich wohl genug fühlt, könnten wir doch alle in Urlaub fahren. Irgendwohin, wo es warm ist und wo es Strände gibt und Cocktails mit kleinen Schirmchen drin. Wir können Abstand ... von all dem gewinnen.«
    Schließlich hatte sie den letzten Nagel eingeschlagen. Catherine rüttelte heftig an der Tür. Sie hielt stand.
    Das musste genügen. Hoffentlich.
    »Prudence, wenn jemand an der Tür ist, den Sie nicht kennen, machen Sie nicht auf. Und falls Sie sonst jemanden sehen ... Reporter ... geben Sie mir bitte Bescheid.«
    »Ja, Madam«, erwiderte Prudence. »Und die Lichter?«
    »Ich glaube«, stieß Catherine schwer atmend hervor, »die lassen wir noch ein bisschen brennen.«
     
    Tony Rocco hatte einen langen Tag hinter sich. Erst um zehn Uhr abends konnte er endlich dem Krankenhaus den Rücken kehren. Vor zehn Jahren hätte ihn das nicht gestört, doch inzwischen hätte er eigentlich den Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn erreicht haben müssen. Wenn man so lange im Geschäft war wie er, überließ man Kleinkram wie Brechanfälle und Rotznasen den Assistenzärzten, die noch Karriere machen wollten, und kümmerte sich nur noch um die wirklich wichtigen Fälle.
    Zumindest hielt ihm das seine Frau allabendlich vor Augen. »Verdammt noch mal, Tony, wann wirst du endlich einfordern, was dir zusteht? Das bescheuerte Krankenhaus soll sich doch zum Teufel scheren. Nur mit einer Privatpraxis kann man richtig Geld machen. Du könntest das Drei- bis Vierfache deines jetzigen Gehalts verdienen. Wir könnten ...«
    Seit etwa fünf Jahren hörte er seiner Frau nicht mehr zu. Es war bei einem Thanksgiving-Essen bei seinen Eltern gewesen, mitten in einer Tirade seiner Mutter, die sich darüber ereiferte, dass sein Vater es wagte, mit seinen Freunden zum Golfspielen zu gehen. Da hatte Tony die reizende Frau, mit der er seit drei Jahren verheiratet war, über den Tisch hinweg angesehen, und ihm war – Ehrenwort! – zum allerersten Mal klar geworden, dass er an eine Kopie seiner Mutter geraten war. Es hatte ihn getroffen wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Wie der Fausthieb eines Riesen.
    Seine Mutter war eine Nörglerin. Seine Frau war eine Nörglerin. Und in fünfzehn Jahren würde er aussehen wie sein Vater, leicht gebeugt, das Kinn auf die Brust gedrückt, mit der Körperhaltung einer Schildkröte und selektiv taub auf beiden Ohren.
    Er hätte sich auf der Stelle scheiden lassen sollen, aber man musste schließlich an die Kinder denken. Ja, seine beiden süßen, reizenden Kindern, die ihn inzwischen ebenso anklagend ansahen wie seine Frau, wenn er zu spät zum Abendessen kam.
    Er ertappte sich dabei, dass er wieder an Catherine dachte. Wie sie sich vor neun Monaten an ihn gewandt hatte. An ihre Finger, die seinen Arm streiften. Ihr langes schwarzes Haar, das ihn an der Wange kitzelte, als sie sich über ihn beugte, tun einen

Weitere Kostenlose Bücher