Lauf, wenn du kannst
Blick in Nathans Krankenakte zu werfen.
Eines Tages war sie ohne Nathan zu ihm ins Büro gekommen. Sie trug einen langen schwarzen Mantel, trat ein, schloss die Tür hinter sich ab, sah ihm in die Augen und sagte: »Ich brauche dich.«
Dann öffnete sie den Mantel, unter dem sie nichts anhatte als glatte weiße Haut und verführerische schwarze Spitze. Er hatte sie sofort an Ort und Stelle genommen, an der Wand, die Hose zu den Knien hinuntergelassen, ihre Beine um seine Taille geschlungen.
Ihr Höhepunkt war so heftig gewesen, dass sie die Zähne in seine Schulter schlug. Dann waren sie zu Boden gesunken, und schon im nächsten Moment kauerte sie auf allen Vieren und er nahm sie von hinten, so hart und aufgeregt wie ein Teenager.
Danach hatten sie sich beide vor Erschöpfung fast nicht bewegen können, und Dr. Rocco hatte es kaum geschafft, seine Empfangsdame per Telefon zu bitten, alle Nachmittagstermine abzusagen. Und da hatte er den Bluterguss auf Catherines linker Schläfe gesehen.
Es sei nichts, erklärte sie. Sie sei in der Küche gegen die Anrichte gestolpert. Keiner von ihnen hatte etwas dazu gesagt, dass der Bluterguss eindeutig die Form einer menschlichen Faust hatte.
Als sie ihm endlich von Jimmy erzählte, geschah es unter Tränen. Sie waren in einem Hotelzimmer am Copley Square. Catherine hatte gerade zwanzig Minuten auf den Knien verbracht und Dinge getan, die Tony Rocco bis jetzt nur aus Zeitschriften kannte. Nun hielt er sie in den Armen und streichelte ihr Haar.
Ich brauche dich, hatte sie, den Kopf an seine Brust geschmiegt, geflüstert. O Gott, Tony, du weißt ja gar nicht, was los ist. Ich habe solche Angst.
Er sollte diesem dämlichen Krankenhaus den Rücken kehren, dachte Tony nun auf dem Weg durch die menschenleere Tiefgarage. Seine Schritte hallten auf dem Beton. Er hatte die Leute satt, die ständig versuchten, ihm Vorschriften zu machen: seine Frau, den Leiter der Kinderklinik, Richter Gagnon, diesen aufgeblasenen Schnösel. Was brachte es, sich jahrelang krumm zu schuften, wenn man trotzdem nie das tun durfte, was man eigentlich wollte?
Er liebte Catherine Gagnon. Er hatte die Nase voll von diesem Mist. Zum Teufel mit seiner Frau, zum Teufel mit den Kindern. Er würde jetzt sofort zu Catherine fahren und ihr sagen, dass er alles zurücknahm. Es täte ihm leid, dass er sie im Stich gelassen und ihr mitgeteilt habe, er könne Nathan nicht helfen.
Voller Scham erinnerte er sich an das Gespräch mit dem Staatspolizisten an diesem Nachmittag. Als er versucht hatte, ihm zu erklären, er habe Cat zwar geliebt, aber sie nicht vor Jimmy beschützen können, hatte er sich gefühlt wie ein halber Mann. Der Blick, den der Polizist ihm zugeworfen hatte ...
Das war die Lösung. Er würde aussteigen und endlich auf eigenen Füßen stehen. Endlich einmal würde er tun, was er wollte. Zum Teufel mit den anderen Frauen in seinem Leben.
Tony hatte sein Auto erreicht. Mit bereits vor Aufregung zitternden Händen holte er den Schlüssel aus der Tasche.
Erst als er die Tür öffnete, hörte er das Geräusch hinter sich.
Schritte bewegten sich lautlos den Flur entlang. Gummisohlen huschten vorsichtig über weiße Vinylböden. Das leise Rascheln von Vorhängen. Das Piepsen des Herzmonitors. Das Surren verschiedener Ventilatoren.
Die Schwester war fort und versorgte anderswo einen Patienten.
Auf dem Flur war es dunkel und still.
Auf Zehenspitzen schlich der Mann weiter und weiter, bis er endlich das richtige Zimmer gefunden hatte.
Ein Schatten fiel auf das Bett. Der vierjährige Nathan rührte sich, wandte den Kopf in Richtung des Geräusches und öffnete die Augen benommen zu kleinen Schlitzen.
Der Mann hielt den Atem an.
Und dann flüsterte Nathan: »Daddy.«
15
Bobby hatte keine Chance. Kaum hatte sein Kopf endlich das Kissen berührt, als schon wieder das Telefon läutete. Diesmal glaubte er nicht, dass es Susan sein könnte. Stattdessen dachte er sofort an Catherine. Wie ihm klar wurde, hatte er geträumt. Er hatte von Jimmy Gagnons Witwe geträumt, und sie war nackt gewesen und hatte ihr langes schwarzes Haar über seine Brust gebreitet.
»Ich will jetzt endlich schlafen«, zischte er in den Hörer. Dann kam die Antwort prompt. »Haben Sie immer noch Lust, Detektiv zu spielen, Officer Dodge?«
Er brauchte einen Moment, um die Stimme einzuordnen. Harris, der brave Privatdetektiv der Gagnons. Bobbys Blick wanderte zur Uhr auf dem Nachttisch. Die Leuchtziffern zeigten zwei Uhr
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