Lauf, wenn es dunkel wird
wollte ganz bestimmt niemals alt werden - tauchte eine ernst aussehende Moderatorin auf dem Bildschirm auf. Über ihrer linken Schulter war ein Foto eingeblendet, das den Tatort mit dem gelben Absperrband zeigte. »Das Topthema heute Abend: Die Eltern des entführten Mädchens vom Woodlands Experience Einkaufszentrum haben einen herzerweichenden Aufruf für die unversehrte Rückkehr ihrer Tochter gestartet. Tami Engel von Channel 8 sprach heute am späten Nachmittag mit Nick und Danielle Wilder, den Eltern der sechzehnjährigen Cheyenne.«
Das Fernsehen schnitt auf einen Mann mit gebräuntem Gesicht und dunklem Haar, das an den Schläfen grau wurde. Neben ihm saß eine blonde Frau, die nach Griffins Einschätzung einen sehr teuren Haarschnitt hatte - die Konturen waren fransig und sie hatte mehrfarbige Strähnchen. Sie saßen auf einer dunkelbraunen Ledercouch. Hinter ihnen war ein offener rustikaler Kamin zu sehen und daneben ragte ein riesiger in Silber geschmückter Weihnachtsbaum empor. Sicher das Haus der Wilders, dachte Griffin. Aber, ob es eine gute Idee war, dass sie dort gedreht hatten? Der ganze Ort stank regelrecht nach Geld. Und wenn Roy das sah, würde er wahrscheinlich die Lösegeldforderung für Cheyenne verdoppeln.
Als Mr Wilder sprach, zuckte Cheyenne zusammen.
»Ich werde alles Erforderliche tun, damit ich meine geliebte Tochter wieder zurückbekomme«, sagte Mr Wilder. »Jeder, der etwas gesehen hat, kann mich vierundzwanzig Stunden am Tag anrufen.« Die Kamera ging auf Großaufnahme, sein Gesicht war tränennass. Die Tränen und das gebräunte Gesicht passten irgendwie nicht zusammen. »Mein kleines Mädchen muss so schnell wie möglich wieder nach Hause kommen. Denken Sie nur, wie verängstigt sie sein muss. Meine Tochter ist blind.«
Die blonde Frau legte eine Hand auf den Arm ihres Ehemanns. »Cheyenne ist sehr stark. Ich bin mir sicher, dass sie das durchstehen wird.« Dann seufzte sie schwer. »Ich fühl mich so schuldig. Ich hatte darauf bestanden, dass wir ihren Blindenhund zu Hause lassen. Ich dachte, so wäre es einfacher. Und jetzt denke ich die ganze Zeit, wenn sie Phantom dabeigehabt hätte, wäre das alles nie passiert.« Sie schlug die Hände vors Gesicht, man hörte ein unterdrücktes Schluchzen.
»Weint sie?«, fragte Cheyenne.
»Ja. Dein Dad auch.«
Griffin dachte heute schon zum zweiten Mal an seine Mutter, etwas, das er sonst selten zuließ. Wie hätte sie sich verhalten? Hätte sie geweint? Oder hätte sie nur an sich gedacht, so wie vor sieben Jahren?
»Ich habe Danielle noch nie weinen sehen«, sagte Cheyenne mehr zu sich selbst.
Die Kamera schwenkte zurück auf Mr Wilder. »Cheyenne ist sehr krank«, sagte er zu der Reporterin, die verständnisvoll nickte. »Kurz bevor man sie entführt hat, wurde bei ihr eine Lungenentzündung diagnostiziert. Sie braucht Antibiotika. Ich bitte diese Leute inständig, sie umgehend freizulassen. Wie können sie nur ein Mädchen wie sie entführen, ein hilfloses Kind? Sie muss außer sich sein vor Angst.« Er drehte sich direkt zur Kamera. »Als Vater flehe ich Sie an - ich flehe Sie an, schauen Sie in Cheyennes Gesicht. Bitte, bitte tun Sie ihr nichts, lassen Sie sie frei.« Seine Stimme wurde hart. »Und lasst euch eines gesagt sein: Wenn ihr meiner Tochter auch nur ein Haar krümmt, bekommt ihr es mit mir zu tun.«
Tami, die Reporterin, lehnte sich nach vorne. »Denken Sie, die Entführung hängt damit zusammen, dass Sie der Präsident von Nike sind?«
Cheyennes Vater nickte. Die Tränen auf seinem Gesicht waren inzwischen getrocknet. »Das ist gut möglich. Es ist kein Geheimnis, dass mir meine Tochter alles bedeutet. Sie könnten uns beobachtet und dann so lange gewartet haben, bis Cheyenne schutzlos war. Wie meine Frau schon sagte, hatte sie heute Morgen ihren Blindenhund nicht dabei.«
Dann wandte er sich direkt an Cheyenne. »Cheyenne, ich weiß, dass wir räumlich getrennt sind, aber in meinem Herzen«, er stockte und seine Stimme brach weg, »in meinem Herzen bist du immer bei mir. Dort sind wir niemals getrennt, keinen Moment lang, nicht einmal eine Sekunde. Bitte bleib stark. Wir werden dich bald nach Hause holen.«
Griffin schaute zu Cheyenne. Sie zitterte so sehr, dass man fast meinen konnte, sie würde auseinanderreißen. Tränen liefen ihre Wangen hinunter, aber als sie sprach, hörte sie sich wütend und aufgebracht an. »Ich dachte, dein Vater wollte Lösegeld fordern. Wieso sagen sie nicht, dass sie was von den
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