Lauf, wenn es dunkel wird
Jimbo ruhig und beobachteten Roy, wie sie sonst nur Duke ansahen.
»Nichts«, schnauzte sein Vater. Er hatte die Whiskey-Flasche aus dem Küchenschrank geholt und nahm einen Schluck. Dann schaute er zu den beiden Männern, die für ihn arbeiteten. »Warum hängt ihr eigentlich noch hier rum? Warum seid ihr nicht zu Hause?«
Jimbo wusste, dass es jetzt besser war, den Mund zu halten, aber TJ nicht. »Weil wir wissen wollen, was ihre Eltern gesagt haben«, sagte er. »Wann kriegen wir das Geld? Wie viel kriegen wir?«
»Wer hat irgendwas von wir gesagt?«, brüllte Roy. »Es ist mein bescheuerter Balg, der sie mit in mein Haus gebracht hat. Und ich bekomme ja wohl die Schuld, falls das alles schiefgeht. Ihr beiden könnt dann Zeugen der Staatsanwaltschaft werden und seid fein raus.«
»Aber -« TJ wusste wirklich nicht, wann man besser den Mund hielt.
»Kein Aber. Geht nach Hause. Jetzt.« Roy nahm noch einen Schluck und wischte sich den Mund mit seinem Handrücken ab. »Wir reden morgen drüber.«
»Dürfen wir sie noch mal sehen?«, fragte TJ.
»Nein«, sagte Griffin bestimmt. »Sie muss sich ausruhen.«
»Hast sie wohl fix- und fertiggemacht?«, meinte TJ und grinste anzüglich. »Komm schon, lass TJ mal kurz schauen. Sie ist aber auch ein Leckerbissen.«
Griffin machte zwei Schritte, damit er zwischen ihnen und dem Gang stand. »Ihr habt Roy gehört - geht nach Hause.«
TJ schaute ihn überrascht an. Er wich nicht zurück, aber weiter ging er auch nicht.
Schließlich war es Jimbo, der einen Funken Verstand zeigte. »Komm schon, geh’n wir. Sieht so aus, als würde heute Abend nichts mehr passieren.«
»Dad, was ist los?«, fragte Griffin, nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. »Sie haben ihre Eltern im Fernsehen gezeigt«, er beschloss den Teil auszulassen, wie schön das Haus ausgesehen hatte, »und die haben gesagt, dass sich niemand mit ihnen in Verbindung gesetzt hat. Hast du sie nicht angerufen?«
Roy schaute weg. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich ein Handy gefunden habe, das ich gebrauchen konnte. Und als ich es endlich hatte, habe ich den Zettel mit den Nummern nicht mehr gefunden.«
Griffin war durcheinander. »Was redest du da?«
Sein Vater lehnte sich nach vorne, bis ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren, und betonte sorgfältig jedes Wort. »Ich - habe - ihn - verloren.« Griffin begriff, wie schlecht Roys Laune tatsächlich war. »Ich hab diesen Scheißzettel verloren. Also konnte ich nicht anrufen. Ich hab überlegt, wie ich es am besten anstellen sollte. Also bin ich runter ins Green Roof und hab mir ein paar Sachen aufgeschrieben.«
Das Green Roof Inn war eine Spelunke und ungefähr zwanzig Meilen entfernt. Roy ging manchmal dahin, wenn er eine Runde Pool spielen wollte oder Bier trinken, bis sie ihn mal wieder wegen einer Schlägerei rauswarfen. Sie ließen ihn trotzdem immer wieder rein. Wenn sie all ihren Besuchern wegen so eines Verhaltens Hausverbot erteilen würden, hätten sie bald keine mehr. »Also ja, ich habe diese reichen Mistkerle im Fernseher über der Bar gesehen. Was für ein Geheule, von wegen«, seine Stimme wurde schriller, »bu-huh, mein Baby ist nicht mehr da.« Dann redete er mit normaler Stimme weiter. »Und als ich dann nach draußen zum Auto bin und anrufen wollte, hab ich den Zettel nicht mehr gefunden. Vielleicht tun sie ja nur so. Ich mein, komm schon, wenn man die ganze Zeit auf dieses behinderte Mädchen aufpassen muss, ist das ja wohl ein ganz schöner Klotz am Bein. Vielleicht wollen sie sie ja loswerden und neu anfangen.«
»Ich glaube, Cheyenne ist ziemlich unabhängig«, sagte Griffin. Er wollte sie auf einmal verteidigen. »Sie hat einen Blindenhund und alles.« Er machte eine kleine Pause und sagte dann schnell: »Ich habe nachgedacht. Vielleicht sollten wir sie einfach gehen lassen. Ohne Lösegeld. Und wenn die Bullen rausfinden, wer wir sind, was sie wahrscheinlich nicht werden, können wir sagen, dass alles nur ein Irrtum war.«
Der Schlag in seinen Bauch kam völlig überraschend. Das Nächste, an das sich Griffin erinnerte, war, dass er zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Irgendwo in ihm drin steckte sein Atem fest. Er riss den Mund auf, wie ein Fisch, der auf die Planken eines Bootes geworfen worden war, aber es kam nichts rein und es ging nichts raus. Die Zeit verlangsamte sich, und er konnte alles mit einer strahlenden Deutlichkeit sehen - eine Büroklammer auf dem Teppich, die Schrammen an den
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