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Lauf, wenn es dunkel wird

Lauf, wenn es dunkel wird

Titel: Lauf, wenn es dunkel wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Henry
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aber nimm trotzdem eine. Außerdem habe ich noch Ibus für dein Fieber und auch was für deinen Husten.« Er drückte ihr die Tabletten in die eine und das Glas in die andere Hand. Würde es helfen, wenn sie die doppelte Menge an Antibiotika nahm? Er könnte einfach behaupten, dass auf der Gebrauchsanweisung stand, sie müsse sie zehnmal am Tag mit Wein einnehmen. Oder einmal alle zwei Wochen, oder sogar, dass es ganz andere Medikamente waren. Er könnte alles behaupten.
    »Wo hast du denn Biologie?«, fragte er stattdessen. »Gehst du auf eine extra Blindenschule?«
    Cheyenne schüttelte den Kopf. »Ich bin in einer Integrationsklasse. Ich gehe auf die Catlin Gabel.«
    Griffin schnaubte. »Integrationsklasse! Weiß ja sogar ich, dass das eine von diesen noblen Privatschulen ist.«
    Cheyenne wurde rot. »Auf jeden Fall ist es keine Spezialschule für Behinderte. Ich bin da die einzige Blinde, was manchmal ganz schön schwierig ist. Manchmal vergessen die Lehrer es und zeigen auf etwas oder schreiben Sachen an die Tafel und sagen nicht, was sie geschrieben haben. Seit ich Phantom habe, passiert das nicht mehr so oft. Er ist wie ein Hinweisschild, so in die Richtung: Oh, stimmt ja, Cheyenne ist blind.« Sie legte sich die Tabletten in den Mund, nahm einen Schluck Wasser und legte ihren Kopf zurück. Dabei bewegte sich ihr Kehlkopf.
    »Was hast du noch für Fächer außer Biologie?«
    Sie stellte das Glas auf der Kommode ab und rieb sich übers Gesicht. »Geschichte für Fortgeschrittene, Deutsch, Englisch und Trigonometrie.«
    »Oh«, sagte Griffin. Er kam sich dumm vor, so wie er sich immer gefühlt hatte, als er noch zur Schule gegangen war.
    Cheyenne schien es nicht zu bemerken. »Seit ich blind bin, muss ich auch ein paar Extrakurse belegen. Ich habe meinen Computerkurs in einem Raum, den sie nur für mich eingerichtet haben. Der Computer in der Schule und meiner zu Hause haben ein spezielles Programm. Sie können mir vorlesen, aber manchmal stimmt die Betonung nicht und die Stimme ist ziemlich flach.« Die nächsten Wörter sagte sie wie ein Roboter. »Und er liest jedes Wort vor, das ich eintippe. Dann weiß ich immer sofort, ob ich einen Fehler gemacht habe.«
    »Was ist mit den Leselisten? Hast du eine Maschine, die dir Bücher vorliest?«
    »Lesen.« Cheyenne stieß einen langen Seufzer aus. »Lesen vermisse ich wirklich. Ich vermisse, dass ich mir nicht mehr einfach ein Buch aussuchen kann, verstehst du! Es gibt tausend Möglichkeiten, wie man als Blinder lesen kann, aber ich finde keine davon richtig gut. Manchmal bezahlt Danielle einen Vorleser für mich. Ehrenamtliche lesen mir meine Schulbücher vor. Da ist einer dabei, der sich immer erkältet anhört. Ich kann ihn fast gar nicht verstehen. CDs und Downloads finde ich viel besser, du weißt schon, Hörbücher, die gleichen, wie sie auch Sehende kaufen. Hast du schon mal den Typen gehört, der Harry Potter liest?« Sie strahlte. »Er ist großartig. Er hat für jede Figur eine andere Stimme.«
    Griffin lächelte sie an. Cheyenne lächelte zwar auch, aber es war natürlich kein gemeinsames Lächeln. Es musste seltsam sein, dass man sich nicht ohne Worte mit jemandem verständigen konnte, einfach indem man die Augen verdrehte oder grinste oder ein Gähnen unterdrückte.
    »Aber wenn ich allein lese«, fuhr Cheyenne fort, »bin ich keine besonders gute Leserin.«
    Griffin war überrascht. »Ehrlich? Aber du bist doch schlau.«
    »Ich meine, ich bin nicht so gut in Braille.«
    »Braille? Sind das diese kleinen Punkte zum Beispiel auf den Knöpfen von Aufzügen?«
    Sie nickte. »Ja. In jedem Braillekästchen kannst du die unterschiedlich angeordneten Punkte fühlen. Und dann muss man auswendig lernen, was sie bedeuten. Ich habe Freunde, die blind zur Welt gekommen sind, und die sind viel schneller als ich. Sie benutzen zum Lesen sogar beide Hände. Ich muss richtig langsam machen und selbst dann komme ich durcheinander. Wenn ich nur einen Punkt falsch lese, kann ein ganz anderes Wort dabei herauskommen. Lange Wörter machen mir Angst.«
    Cheyenne hatte ja keine Ahnung, wie gut Griffin sie verstand. »Aber du würdest lange Wörter verstehen, wenn sie dir jemand sagt, oder?«
    »Na klar. Ich kann sie nur nicht mehr lesen.«
    »Ich kann auch nicht gut lesen«, gab er zu. »Einmal musste ich in der Schule laut vorlesen. Und da war dieses Wort. Und ich habe immer wieder >Blumento. Pferde. Blumento-Pferde< gelesen. Es sollte ein Artikel über Pflanzen sein, und ich

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