Lauf, wenn es dunkel wird
»Der Boden ist zu hart. Ich schlafe auf der anderen Seite vom Bett in meinem Schlafsack. Und keine Angst - ich werde dich nicht belästigen oder so was.«
Wenn sie ihn jetzt sehen könnte, wäre Griffins Gesicht bestimmt knallrot, dachte Cheyenne.
Sie hörte, wie er aufstand und das Licht ausmachte, dann fühlte sie, dass er sich auf die andere Seite des Bettes setzte. Es raschelte, als er sich in seinen Schlafsack legte. Er berührte sie an keiner Stelle, also musste er sich wohl an den äußersten Rand des Betts gelegt haben.
Cheyenne war erschöpft, aber auch hellwach. Sie konnte ihre Hoffnung nicht auf Griffin setzen. Vielleicht könnte er manche Dinge verhindern, aber vielleicht auch nicht. Schließlich war er nur ein Jugendlicher. So wie sie.
Lange nachdem Griffins Atem gleichmäßig geworden war, lag Cheyenne noch immer wach im Bett und dachte über eine Fluchtmöglichkeit nach.
Wenn sie nur ein Telefon in die Finger bekäme.
Wenn sie irgendeine andere Möglichkeit hätte, die Behörden zu alarmieren.
Wenn sie Griffin davon überzeugen könnte, sie zu retten.
Wenn sie fliehen könnte.
Lauter Wenns.
Los, schicken wir ihm einen Finger
Als Griffin wach wurde, wusste er nicht sofort, wo er war. Er lag auf der falschen Seite des Bettes in einem Schlafsack und direkt neben ihm atmete jemand.
Und dann stürzte alles auf ihn ein.
Er stützte sich auf den Ellbogen. Cheyennes Atem stockte, aber dann war er wieder normal. Abgesehen von ihren geröteten Wangen, war sie immer noch ganz blass, aber sie sah nicht mehr so schlecht aus wie am Abend vorher. Er überlegte, ob es so für Ehepaare war, wenn einer aufwachte und der andere noch schlief. Ihre Lippen waren weich und verletzlich. Unter ihren blassen Lidern bewegten sich ihre Augen hin und her. Was sie wohl in ihren Träumen sah?
Obwohl er nur ein paar Stunden Schlaf bekommen hatte, war er jetzt hellwach. Er schaffte es, mit ganz wenig Geraschel aufzustehen, und tappte barfuß in die Küche. Der Boden war eiskalt. Der Holzofen im Wohnzimmer brannte zwar, aber warm war es nur dort.
Griffin war überrascht, dass Roy schon wach war. Er lehnte an der Anrichte und trank Kaffee. Neben ihm lag das Telefon. Oder das, was davon noch übrig war. Jemand hatte es mit einem Hammer bearbeitet. Nun bestand es nur noch aus Plastiksplittern und farbigen Drähten. Griffin wunderte sich, dass er gar nicht gehört hatte, wie sein Vater am Abend das Telefon kaputt gehauen haben musste. Er stupste es an.
»Was ist denn mit dem Telefon passiert?«
Roy zuckte mit den Schultern. »Zur Sicherheit. Ich will nicht, dass sie sich losreißt und jemanden anruft. Jetzt geht das nicht mehr.« Seine Hände zitterten und seine Augen waren blutunterlaufen.
Griffin überlegte, warum sein Dad es nicht einfach ausgestöpselt und oben in ein Regal gelegt hatte, aber es lohnte nicht, ihn zu fragen. »Was, wenn ich jemanden anrufen muss?«
»Du kannst mein Handy nehmen.« Er schaute über Griffins Schulter in Richtung Flur. »Schläft sie?«
»Ja. Mitten in der Nacht hat sie Fieber bekommen. Ich hab das Zeug im Bad durchwühlt und alte Tabletten von Mom gefunden, die ich ihr dann gegeben habe.«
Griffin hatte gedacht, dass seinem Dad der Duschvorhang einfallen und er danach fragen würde, sobald er das Bad erwähnte. Aber er schaute nur überrascht. »Von deiner Mom? Echt?«
Sein Dad sprach nicht mehr über seine Mutter. Aber als Griffin aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war, hatte er manchmal gesehen, wie sein Vater weinte und etwas in den Händen hielt, das seiner Mutter gehört hatte - ein Armband oder einen Pulli. Sie hatte viele Sachen dagelassen. Sein Dad und sie hatten einen Riesenkrach über das gehabt, was mit Griffin passiert war. Das musste das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht haben. Sie hatte ihre Tasche geschnappt, ihr Auto und ein paar Bilder von Griffin und das war’s dann. Sie war für immer verschwunden und hatte nie zurückgeblickt.
»Mom hat das Medikament ein paar Monate, bevor sie gegangen ist, gekriegt, aber sie hat nur ungefähr die Hälfte der Tabletten genommen.«
Roy nickte und setzte die Kaffeetasse an seine Lippen. Griffin konnte seinen Gesichtsausdruck nicht einordnen.
Von der Haustür drang ein Knarzen zu ihnen herüber und gleich darauf kamen TJ und Jimbo.
»Gibt’s was Neues?«, fragte Jimbo, der heute eine extralange Wollmütze aufhatte und eine gefütterte Skihose trug. »Hast du mit ihnen gesprochen?«
»Ich hab gerade vor zwanzig
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