Lauf, wenn es dunkel wird

sorgfältig zerstrubbelte, damit man die Narben nicht sah. Ihr Zeigefinger zeichnete die Locken nach. »Und mein Gehirn ist von meinem Hinterkopf zurückgeprallt, und als das passiert ist, wurde der Teil zerstört, der mir sagt, was ich sehe. Meine Augen funktionieren also noch immer. Aber mein Gehirn kann die Informationen einfach nicht verarbeiten.«
    Es war lange still. »Warst du bewusstlos?«, fragte Griffin schließlich leise.
    »Nur für ein paar Sekunden. Als ich wieder zu mir kam, konnte ich nichts sehen. Ich hab gefühlt, dass Blut an meinem Gesicht hinunterlief, und ich habe mir eingeredet, dass ich deswegen nicht sehen konnte. Ich wusste, dass mein Arm gebrochen sein musste, aber sonst schien alles in Ordnung zu sein. Ich habe nach meiner Mutter geschrien und mit meinem gesunden Arm nach ihr getastet. Aber alles was ich gefunden habe, war einer ihrer Schuhe. Ich schätze, sie ist regelrecht aus ihren Schuhen gekippt.« Cheyenne schwieg. Ihr Kopf wurde von Erinnerungen überflutet.

 
Lange Wörter machen mir Angst
    Griffin konnte nicht schlafen. Der Boden war hart und die Kälte kroch durch den alten Schlafsack. Cheyenne war nach dem Abendessen erschöpft eingeschlafen. Griffin hatte sie mit der Steppdecke zugedeckt und dann nicht gewusst, was er mit sich anstellen sollte. Sein Dad sang inzwischen zur Musik aus der Stereoanlage, aber wenn Roy trank, konnte sich seine Stimmung von jetzt auf gleich ändern. Griffin war in seinem Zimmer geblieben und hatte sich ganz an den Rand des Bettes gesetzt. Er blätterte Comics durch oder beobachtete Cheyenne, bis sein Vater endlich die Musik abstellte und ins Bett wankte.
    Griffin hatte nicht gewusst, wo er schlafen sollte. Er hatte überlegt, ob er sich aufs Sofa legen sollte, aber er wollte Cheyenne nicht allein lassen. Zum einen wollte er sie bewachen, zum anderen aber auch auf sie aufpassen. Er hatte sich letztlich für den Fußboden entschieden. Jetzt bereute er seine Entscheidung. Cheyennes Schlaf war unruhig geworden. Sie stöhnte und strampelte mit ihren Füßen, was für ihn das Einschlafen nicht einfacher machte.
    Schließlich hatte er sich hingesetzt und sie angeschaut. Er konnte das dunkle Durcheinander ihrer Haare erkennen, aber das war’s dann auch fast schon. Es hörte sich an, als ginge es ihr schlechter, aber im Dunkeln konnte er schwer beurteilen, wie krank sie wirklich war. Irgendwann wurde ihm klar, dass die normalen Regeln nicht mehr galten. Er stand leise auf und machte das Licht an, die plötzliche Helligkeit ließ ihn zusammenzucken.
    Cheyenne rührte sich nicht, sie lag zusammengerollt auf einer Seite. Griffin kniete sich direkt neben das Bett, damit er sie besser sehen konnte. Sie hatte einen schönen, weichen Mund, ihre Lippen waren leicht geöffnet. Wenn sie ausatmete, rasselte es in ihrer Brust. Schwarze, feuchte Haarsträhnen klebten auf ihrem geröteten Gesicht. Es sah aus, als hätte sie Fieber.
    Griffins Hand schwebte über ihrer Stirn, dann legte er sie sachte darauf ab. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert. Sie fühlte sich heiß an - aber wie heiß genau? Wenn das Fieber zu hoch stieg, konnte es dann nicht das Gehirn schädigen?
    Griffin legte seine freie Hand auf die eigene Stirn. Die fühlte sich auch heiß an. Wie war es, wenn er seine rechte Hand von ihrer Stirn direkt auf seine legte? Er konnte keinen großen Unterschied feststellen, außer dass ihre feucht war und seine nicht. Sein Handteller war ganz offensichtlich kein brauchbares Thermometer. Dann hatte er eine Idee. Wenn er ihre Stirn mit seiner berühren würde, wüsste er sicher, wie viel wärmer sie war.
    Griffin lehnte sich nach vorne und drückte seine Stirn vorsichtig gegen Cheyennes. Ganz sicher wärmer. Kochte ihr Hirn schon in ihrem Schädel? Er überlegte gerade, ob er nicht einfach versuchen sollte, sie aus dem Haus zu schmuggeln und sie dann vor einem Krankenhaus rauszuwerfen, als Cheyenne sich mit einem Ruck aufsetzte. Ihre Köpfe krachten zusammen.
    Sie schrie auf und stieß ihn weg.
    »Schhh!« Er wollte Roy nicht wecken. »Ich bin’s nur, Griffin.«
    Cheyenne senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Was machst du da?« Sie hörte sich klarer an, als er es an ihrer Stelle gewesen wäre. »Versuchst du mich zu küssen oder so was?«
    »Nein!« Peinlicherweise brach seine Stimme. »Ich wollte bloß rausbekommen, ob du Fieber hast.«
    »Und?«
    »Und ich glaube, ja.«
    »Das weiß ich schon lange.« Sie setzte sich aufrecht hin und rutschte zurück, bis