Lauf, wenn es dunkel wird
habe die ganze Zeit an eine Pferderasse gedacht, von der ich noch nie was gehört hatte.«
»Blumento-Pferde«, sprach Cheyenne ihm nach. Dann verstand sie es. »Oh. Blumentopf-Erde. Ja, das leuchtet ein. Bist du mal auf Legasthenie getestet worden?«
»Ich bin nicht zurückgeblieben«, sagte Griffin schnell und wünschte, er hätte sich ihr nicht geöffnet.
»Nein, aber das bedeutet Legasthenie auch nicht. Legasthenie heißt, dass man zum Beispiel mit dem Leseerwerb an sich Schwierigkeiten hat und nicht damit, den Sinn zu verstehen. So wie ich eben Schwierigkeiten mit Braille habe.« Sie setzte sich gerade hin. »Du könntest von der gleichen Stelle Tonaufnahmen bekommen wie ich. Die sind nicht nur für Blinde da. Man kann sie einfach über den Schulbezirk bestellen.«
»Wie kommst du darauf, dass ich noch zur Schule gehe?«, sagte Griffin ernüchtert. Er hatte gehofft, dass sie ihn für ungefähr dreißig hielt. Dreißig schien ihm ein vernünftiges Alter zu sein.
»Zum einen lebst du noch bei deinem Vater.« Cheyenne zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht. Aber je länger ich dir zuhöre, desto mehr glaube ich, dass du ungefähr so alt bist wie ich. Blinde sind gut darin, andere einzuschätzen.« Sie lehnte sich nach vorne. »Deswegen weiß ich auch, dass du nicht so wie die anderen Typen hier bist.«
Lauter Wenns
Cheyenne konnte es sich selbst ausrechnen. Diese Männer waren der Meinung, sie würden fünf Millionen Dollar von ihrem Dad bekommen. Was sie vielleicht tatsächlich könnten, wenn er genug Zeit hätte. Und danach gab es für sie zwei Möglichkeiten.
Erste Möglichkeit: das Mädchen freilassen, das der Polizei dabei helfen könnte, sie zu finden.
Zweite Möglichkeit: das Mädchen töten und einen guten Platz finden, wo man die Leiche verstecken kann.
Und je länger sie hier war, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie allmählich dachten, es wäre nicht unbedingt zu ihrem Besten, sich für die erste Möglichkeit zu entscheiden. Egal ob blind oder nicht, sie wusste zu viel.
Cheyenne atmete tief ein. Diese Typen waren Kriminelle, ja, aber sie waren Autodiebe und keine Mörder. Und das war ein ganz schön großer Unterschied. Griffin hatte sie nur aus Versehen entführt. Klar, er konnte dafür im Gefängnis landen, aber vielleicht würde seine Strafe ja nicht so schwer ausfallen, weil er es nicht mit Absicht getan hatte. Aber Mord - sie tatsächlich töten, war eine andere Sache. Dafür konnten sie hingerichtet werden. Das musste doch abschrecken.
Aber dann erinnerte sich Cheyenne daran, wie leer die Straßen auf dem Weg hierher gewesen waren. Sie erinnerte sich auch an die Stille und Weite, die sie umgeben hatte, als sie zum Haus gelaufen waren. Auch wenn also die Bestrafung für einen Mord viel härter war als für eine Entführung, hieß das trotzdem, dass erst einmal jemand ihre Leiche finden musste.
Ihr Kopf war schwer und ihre Gedanken schwirrten durcheinander, aber sie zwang sich, klar zu denken. Die drei älteren Männer betrachteten sie als Objekt nicht als Mensch, das hatte sie sofort gemerkt. Wahrscheinlich waren für sie alle Menschen nur Objekte, aber Cheyennes Blindheit machte es ihnen noch einfacher, sie abzuschreiben.
Griffin war wahrscheinlich der Einzige, der sie lebend hier herausbringen wollte. Sie musste sicherstellen, dass er sie auch weiterhin als Mensch sah. Sie musste ihm wichtig sein, er musste sie beschützen wollen. Sie musste ihm einen Grund geben, damit er Bedenken bekam. Sie würde nicht mehr mit ihm streiten, schwor sie sich. Und nicht mehr gegen ihn kämpfen. Ihr Leben hing von ihm ab.
Aber Cheyenne wusste, dass das einseitig war. Wenn es den Moment gäbe, wo sie den Spieß umdrehen könnte, würde sie alles tun, was dafür nötig war. Selbst wenn sie Griffin dafür verletzen müsste. Selbst wenn es noch schlimmer war als das. Am Ende würde es einen Toten geben - da war sie ziemlich sicher.
Nach einer Weile fragte Griffin: »Warum denkst du, dass ich nicht so bin wie sie?« Cheyenne konnte die Gefühle, die in seiner Stimme mitschwangen, nicht genau zuordnen.
»Erstens bist du freundlich. Und dann glaube ich, dass du klüger bist als sie.« Sie meinte das wirklich so. Wenn sie lügen musste, hoffte sie, dass es sich genauso anhören würde wie jetzt, wo sie die Wahrheit sagte.
Griffin schüttelte den Kopf so heftig, dass das Bett wackelte. »Ich bin nicht schlau. Ich hab die Schule geschmissen, bevor sie mich rausgeworfen
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