Laufend loslassen
dabei. Sie selbst sind von Bilbao aus den Küstenweg und dann den Camino Primitivo gegangen, hart, aber landschaftlich sehr schön.
Sie erzählen mir, die Betten der Herberge seien voll, aber auf den Matratzen gäbe es noch Platz.
Am Nachmittag, während ich einen Tee trinke, denke ich über den heutigen Tag nach. Während die Wehmut über den Abschied nach und nach abklingt, steigt in mir immer mehr Freude und Dankbarkeit über die gemeinsame Zeit mit Dennis und Verena auf. Alle Erfahrungen mit ihnen, die vielen schönen und die schweren der letzten Tage vor Santiago, sind Teil meines inneren Schatzes geworden. Ich spüre aber auch, dass es gut ist, den Weg nach Finisterre allein zu gehen, um so den Übergang in die Zeit nach dem Heimkommen sanfter zu gestalten.
Es war lange Zeit mein Wunsch, dass es anders sein möge. Ich habe mir schöne Dinge für diese Zeit mit Verena ausgemalt. Aber etwas anderes war für mich vorgesehen.
Im Tiefsten weiß ich, dass es so richtig ist. Wieder einmal spüre ich die Führung auf dem Weg.
Der Nachmittag wird interessanter als gedacht. Es gibt mehr Spanier hier, dazu eine Studentin der Archäologie aus Brasilien, mit der ich mich ein wenig unterhalte, außerdem eine sympathische Spanierin, die mich von ihren Nudeln mitessen lässt. Zur Nacht kommt die Hospitalera und macht aus dem Aufenthaltsraum einen Schlafsaal mit Gymnastik-Matratzen. Ich ergattere den Platz am Fenster und schlafe gut.
Samstag, 25. August
Kurz vor fünf wache ich ausgeruht auf. Ich starte, der Weg führt durch viel Eukalyptuswald und nur selten sehe ich andere Pilger. Dennis kommt mir in den Sinn. Heute fliegt er zurück nach Deutschland. Dort wartet dann schon die Nachricht auf ihn, wo er seine erste Vikariatsstelle haben wird.
Ich denke viel über die Erlebnisse des spanischen Camino nach und über das Geschenk von Verena, das Taizé-Kreuz. Meines habe ich am Anfang des spanischen Wegs in St. Jean Pied de Port liegen gelassen.
Es war als innere Verbindung gedacht zu meinem Ausgangspunkt. In den letzten Stunden unseres gemeinsamen Wegs hat Verena durch ihr Geschenk diese Rückbindung an den Anfang wieder hergestellt.
Mir kommt das Bild Alpha - Omega wird zu Omega - Alpha. Vom Anfang zum Ende und jetzt vom Ende zum Anfang. Ich denke auch über meine Erfahrungen mit dem Loslassen nach.
In Frankreich ging es um das Loslassen der ehelichen Beziehung zu Edith, um das Loslassen meiner gescheiterten Ehe. Das geschah in mir ganz leise, nach und nach, bis ich in den letzten Tagen vor St. Jean Pied de Port als äußeres Zeichen und auch erst versuchsweise den Ring ablegte. In den Träumen in Spanien hat sich dieser Prozess noch fortgesetzt, bis er nach Hontanas und letztlich dann am Cruz de Ferro abgeschlossen war. Eine tiefe Dankbarkeit für die gefüllten Jahre mit Edith in guten und schlechten Zeiten steigt in mir auf. Auch sie sind Teil meines inneren Schatzes geworden.
Ich denke auch darüber nach, wann und wie meine Zuneigung zu Verena gewachsen ist. Der erste Anfang war wohl in Nájera, bei der St.-Jakobs-Feier, als wir tanzten. In San Juan de Ortega habe ich ihren Geist und Witz zu lieben gelernt. In Burgos tat es mir wohl, sie im Bett neben mir zu wissen. Gern hätte ich ihre Hand sanft berührt. In Hontanas blieb ich, weil ich ihr nahe sein wollte. Danach war es mir wichtig, in ihrer Nähe zu sein, bis sich das erlebte Dilemma entwickelte. Jetzt habe ich sie wieder losgelassen oder bemühe mich zumindest darum, und ein wenig Wehmut schwingt noch mit und eine Freude über die jetzige Qualität der Freundschaft. Was als Aufgabe für mich bleibt, ist die Klärung von Beziehung und Autonomie. Denn eine Beziehung, in der es beiden Partnern auf Dauer gut geht, gelingt nur, wenn dabei die eigene Autonomie erhalten bleibt, wenn Nähe und Distanz in einem dynamischen Gleichgewicht sind.
Noch viele Bilder der Pilgerreise steigen aus dem Herzen auf. Ich mache mir bewusst, was ich an Verena und Dennis lieb gewonnen habe.
Ich setze den Weg fort. Es wird richtig heiß. In einer Bar auf halber Strecke finde ich die drei jungen Spanier wieder, die ich schon gestern gesehen habe. Sie laden mich an ihren Tisch in den Schatten ein.
Gegen halb drei komme ich in der Herberge von Olveiroa an, von allen galicischen Herbergen bisher die schönste. Alte Dorfhäuser wurden renoviert, mehrere Bauten bilden ein Ensemble. Es gibt sogar eine eingerichtete Küche, die sehr gemütlich ist, und einen eigenen Comedor. Die drei
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